Chilly Gonzales :: Ivory Tower

Gentle Threat/Edel

Pop aus dem Klavier, schöne Etüden und schöne Attitüden – oft leicht, seltener zwingend. Es fehlt ja auch noch der Film dazu.

Verstehe einer den Gonzo. Er behauptet, er gebe den Leuten das, was sie wollen – den großen Zampano und den musikalischen touche-à-tout. Aber er gibt ihnen eben auch Platten wie das barsch berappte THE ENTERTAINIST (2000) oder SOFT POWER (2008), das den Pop der 70er in Farben schillern ließ, die dem studentischen wie dem seit seiner erfolgreichen Solopiano-Platte SOLO PIANO (2004) auch fertig studierten, besser situierten Publikum entweder zu grell oder zu Pastell waren. Und jetzt das: IVORY TOWER. Chilly hat sich dem Schachspiel verschrieben: „Ich dachte echt, ich habe die Schnauze voll, aber dann rettete mir ein Gedankenspiel den Arsch: Ich stellte mir einfach ein Schachbrett vor.“ Wie bitte? Meint er das metaphorisch? Es hilft auf jeden Fall zu wissen, dass IVORY TOWER mehr ist als eine weitere Partie auf den schwarzen und den weißen Tasten, sondern dass auch ein Film daraus werden soll, eine „existentialistische Sport-Komödie“ mit Chilly, Houseproduzent Tiga als Bruder/Gegenspieler und Peaches als Herzdame. Das erklärt so schlichte, vom sentimentalen „Zärtliche Cousinen“-Kitsch bis zu kleinen Moon Safaris durcharrangierte, einmal an Depeche Mode, dann wieder an Steve Reich erinnernde Instrumentals, die den Großteil der Platte ausmachen – verstehen wir sie als Soundtrack-Arbeiten. Es gibt aber auch richtige Songs wie die Klavierballade „The Grudge“, in der Gonzo mit scharfen, hinterhältigen Reimen für sein Recht auf Groll auf seinen Widersacher einsteht, aber auch gesteht, dass er sich über ihn definiert: „Without the competition will I become a hippie or a hipster with no ambition? Please God, no!“ Produzent Alex Ridha alias Boys Noize steht als Gegenspieler übrigens nicht zur Verfügung. IVORY TOWER bleibt in jedem Moment eindeutig eine Gonzales-Platte. Deutliche Boys-Noize-Einflüsse, dort eine fesch zerzischte Snare, da ein lustig verzerrtes Ein-Wort-Echo, muss man unter dem Kopfhörer suchen. Nur die notorisch motorische Single „Never Stop“ treibt Alex vor sich her, und die 70s-Disco-Runde „You Can Dance“ bringt er so gut in Form, dass sich das Team Gonzales/Ridha damit für das sicherlich bald anstehende Daft-Punk-Musical empfiehlt.

Artverwandtes: Cerrone Cerrone’s Paradise (1977) Air The Virgin Suicides (2000)

www.chillygonzales.com

Story S. 12; CD im ME S. 21; Konzertkritik S. 124