Die Singles
Afrika! Das muss man sich mal vorstellen-. Da seilt sich der ansonsten so geschätzte Kollege Martin Weber, der normalerweise dafür zuständig ist, diesen Kasten hier mit salbungsvollen Worten anzufüllen, für vier Wochen nach Afrika ab. Ohne auch nur „piep“ zu sagen lässt der allseits beliebte (hallo, Eurythmics-Fanclub Castrop-Rauxel!) Singleskastenschreiber den Singleskasten diesen Monat Singleskasten sein. Und jetzt? Statt Webers warmer Worte gibt’s Kochs knckelige Kritiken hier an dieser Stelle. Obwohl sich der Ersatzschreiber dieser Zeilen im Moment durchaus eine schönere Beschäftigung vorstellen könnte, als in seinem engen, staubigen Arbeitszimmer in den Computer-Bildschirm zu starren. Zum Beispiel im Fußballstadion sitzen. Wobei wir auch schon ebenso, äh, spontan wie nahtlos bei den Sportfreunden Stiller angekommen wären Und der neuen Single der Münchner HobbyfuSballer. „Heimatlied“ (Motor/Universal) enthält eben jenen Ohrwurm als „Radio Edit“ und im „Heimatmix“, einer Art akustische Lagerfeuerversion, „Nur i mal“ in der Albumfassung und den „Dalli Dalli“-Song „Spitze“ in der „Mario Thaler Version“. Das kennen wir, das lieben wir, und nur böse Zungen oder Sportfreunde-Bassist Rüdiger würden diese Musik als „Tocotronic für Arme“ bezeichnen. 4 Jetzt aber schnell zu den Originalen:Tocotnnil«. Die Hamburger Schüler ließen ihren ’94er-Song „Freiburg“ von Comot« alias Martin Gretschmann.dem Weilheimer Knöpfchendreher von Notwist, zünftig remixen. Console hat ganze Arbeit geleistet. Das Resultat, „Freiburg V3.0“ (Lage D’or/ Zomba), ist ein feiner, hard rockender Post-Disco Dancefloorfeger mit Consoles fiepsieger Computerstimme. Das ist flott, das ist schmissig, das geht ab. Den Remix gibt’s dann noch in ungefähr 100 Re-Remixen von u.a.Thies Mynther (Stella), Fishmob-Produzent Swen Mayer und von Kevin & Paul (aka Console und Martin Thaler). Anhören und staunen, wie deutscher Mittneunziger „Alternative Rock“ Jahr 2000-kompatibel aufbereitet wird. 5 Im Jahr 2000 ist auch Maxim, der MC von The Prodigy. angekommen. „Carmen Queasy“ (XL/Beggars Banquet/PIAS/Connected) ist die erste Single aus seinem ersten Soloalbum „Hell’s Kitchen“, das im September erscheinen soll. Dafür hat Maxim die ansonsten eher unerträgliche Skunk Anansie-Sängerin Skin ins Studio geholt. Das Ergebnis ist aber weniger schlimm als befürchtet: „Carmen Queasy“ ist ein Prog-Raver mit Schlagerkompatibler Melodie und der göttlichen Zeile „Money makmg is a wonderful thing“. Besser als das sind die beiden Versionen des Tracks: „Digital Dubz Digi Dub“, ein mit Breakbeats und Magenwand feindlichen Bässen aufgeladenes Teil, und das „Instrumental“. Besser deshalb, weil Skin hier mehrheitlich durch Abwesenheit glänzt und Maxim noch einen Gang höher schaltet. 4 Dass man mittlerweile die größte Fusion-Kacke aus den 7oer-Jahren nicht nur ungestraft hören darf, sondern auch noch als „hip“ gilt, wenn man’s tut, ist ja okay. Aber der Retro-Jazz-Wahn stößt auch auf seine Grenzen. Sei Georg« Bwiten zum Beispiel. Was der Gitarren-Altmeister in den 7oer-Jahren im Namen des Disco-Funk verbrochen hat. schreit nach Genugtuung. Aber selbst einer wie Benson scheint noch wache Momente zu haben, weil er an „El Barrio“ (Universal) die richtigen Leute Hand anlegen ließ. Die britischen Mixmeister von Masters At Work machen aus dem Teil eine locker-flockige downbeatige Latin-Nummer, bei der nicht einmal Bensons Gitarrenmasturbationen allzu sehr stören. Da muss man sich nicht ganz für schämen. 3 Schämen muss man sich auch nicht, wenn man ein Freund des guten alten Vinyls ist. Obwohl Vinyl ja schon irgendwie so was wie das Afrika (huhu, Martin) der Tonträgerwelt ist.Vinyljunkies werden von uns CD-Abhängigen immer ein bisschen als Exoten belächelt, und auch wenn sie es nicht zugeben wollen, schauen die Vinyler doch stets ein wenig neidvoll auf die reichhaltige Auswahl, die der CD-Teil der restlichen Welt anzubieten hat. Also kurz vor Schluss noch zwei Mal schwarzes Plastik. Da wäre zunächst Th« Elccttk Famüy. Die Krautrock-Supergroup um Tom „The Perc“ Redecker hat sich auf ihrem 90-Gramm-Vinyl den Pink Floyd-Klassiker „CarefulWithThatAxe, Eugene“ (Moloko Plus/Target) vorgenommen. The Electric Family verwandeln das psychedelische Original in ein nach Räucherstäbchen und Haschgift schreiendes Hippie-Epos mit allem, was so dazu gehört: Didgeridoo.Tambura und 12-String-Guitar Auf der Flipside gibt’s die Liveaufnahme „BricksOf Time“, die lockeres Westcoast-Feeling ausstrahlt.4 Und jetzt noch was für die Luftgitarren-Fraktion, die ja auch bald unter Artenschutz gestellt werden wird. Payola ist ein Trio aus Hannover, das mit“Hecho TotalmentoAMano“ (Exile On Mainstream, Ossastraße 38.12045 Berlin, Email: knownothing@t-online.de) leicht kranken, bluesgetränkten Alternative-Rock eingespielt hat. Verzerrte Gitarren, verzerrte Stimmen, verzerrte Welt: Rolling Stones. circa 1971, auf sehr schlechten Drogen. Und damit man auch weiß, wo Payola ihre Wurzeln haben, covern sie zum Schluss noch den Beasts Of ßourbon-Klassiker „Chase The Dragon“ 4 So, liebe Freunde der gepflegten Beatmusik, das soll’s denn auch schon gewesen sein für diesen Monat. Nächstes Mal muss dann wieder der Martin ran, wenn er sich wieder dort aufhält, wo die Singleskästen dieser Welt von kompetenten Singleskastenschreibern in aschgraue Tastaturen gehackt werden: jenseits von Afrika.
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