Diverse – Harvest Festival

Zum Ende der Swinging Sixties veränderte sich das Klima im Pop. Der drogengeschwängerte „Summer Of Love“ symbolisierte 1967 den Aufbruch in unbekannte Dimensionen: Dank SGT. PEPPER entwickelte sich die LP von der reinen Single-Kollektion zum Forum für mannigfaltige Klangexperimente. Hörgewohnheiten wurden aufgebrochen, überlange Jams und kompliziert arrangierte, klassisch oder fernöstlich inspirierte Songs hielten Einzug. Der Rock ’n‘ Roll schickte sich an, erwachsen zu werden – langhaarig, bärtig und versponnen. Ein elitäres Auditorium zelebrierte seine Idole in Mammut-Konzerten und schaute verächtlich auf den kommerziellen Drei-Minuten-Pop. Die seit den frühen 30er Jahren etablierte englische Plattenmarke EMI (Beatles, Joe Cocker, Yardbirds, Animals) erkannte die Zeichen der Zeit als erste und gründete 196g unter der Ägide von Michael Jones das Sub-Label Harvest. Zum ersten Mal wurde ein Label Garant für qualitativ hochwertigen künstlerischen Output. In den kommenden Jahren etablierten britische Bands wie Deep Purple, Pink Floyd, The Pretty Things und die Edgar Broughton Band das Harvest-Label als experiementierfreudiges und finanziell lohnendes Unternehmen. Innovative Graphikteams wie Hipgnosis gestalteten die (meist) aufklappbaren Covers – farbenpächtige Kunstwerke, die mythenhaft den Lifestyle visualisierten. Für die Künstler erwies sich das Label mit dem gelbgrünen Logo als ideale Spielwiese: Der bald ins Exil flüchtende Syd Barrett trieb zwei Alben lang seine skurrilen Spaße. Kevin Ayers (Ex-Soft Machine), Roy Harper und Michael Chapman outeten sich als phantasiebegabte Singer/Songwriter. Pink Floyd-Mitglied Roger Waters und Avantgarde-Künstler Ron Geesin brachten eine absurde Toncollage über den menschlichen Körper auf den Markt. Unter der Führung von Roy Wood und Jeff Lynne mutierten The Move von der Pop-Band zum von Cellos und Geigen dominierten Electric Light Orchestra. Der radikale Wood wiederum spaltete sich 1972 ab, um die kuriose Glam-Rock-Formation Wizzard zu gründen. Relativ kurzlebige Bands wie Bakerloo oder Tea & Symphony wurden gerngesehene Gäste des boomenden Euro-Festival-Zirkels. Dem sich veränderten Zeitgeist verstanden die Harvest-Macher noch eine Weile zu trotzen: Mit der Climax Blues Band oder Be-Bop Deluxe gelang der Sprung in die Mittsiebziger. Selbst dem Punk wußten sie mit Wire und The Saints Eigenständiges entgegenzusetzen. Doch spätestens mit Marshall & Hains Millionenhit „Dancing In The City“ waren die Tage des Freistils gezählt. Heute existiert Harvest als rein deutsche EMI-Dependence im Bereich Techno und Electro – was dem Pioniergeist des Labels durchaus entspricht. Mit dem aufwendig gestalteten 5-CD-Set Harvest Festival wird jetzt angemessen das 30jährige Label-Jubiläum gefeiert. Ein looseitiges Buch mit ausführlicher History, zahlreichen Interviews sowie einer kompletten Discographie und zahlreichen Fotos rundet die Retrospektive ab. Schade nur, daß man bei 97 Songs die 100 nicht voll gemacht hat. Stücke von der Grease Band (die Ur-Begleitband von Joe Cocker), Eloy und Triumvirat (zwei deutsche Harvest-Acts) wären es allemal wert gewesen, auf diese Compilation zu kommen.