Diverse – The Big Stiff Box Set
Bei Coolness gibt es einen historischen Faktor, der nur emotional zu ermessen ist, subjektiv wie die Mercalli-Erdbebenskala und mit ähnlichen Wirkungsunterschieden zwischen leichtem Rütteln und totaler Zerstörung. Dass Nick Lowes harmlos-fröhliches „So It Goes“. die erste Stiff-Single von August 1976 und abgekupfert bei Thin Lizzys „Cowboy Song“, mal die Welt verändern sollte wer kann sich das heute vorstellen? Dass diese mittelalten Männer mit mittellanger Haarmatte damals als Bahnbrecher durchgehen sollten – auf den ersten Blick würde man sie heute eher in Richtung San Francisco 1967 verorten, was auch für die (zweifellos sauwitzige) graphische Gestaltung ihrer Platten inklusive Slogans wie „If it ain’t Stiff, it ain’t worth a fuck“ gilt. Und schließlich: Dass Stiff mal als das DAS Punk-Label galt, ist als historischer Irrtum leicht nachweisbar. Zwar erschien im Oktober 1976 mit „New Rose“ von The Damned die allererste Punksingle bei dem Londoner Winzwitzlabel von Jake Riviera und Dave Robinson, aber außer Adverts und Voidoids war’s das schon. Den Hauptteil des Frühprogramms nahmen zwei Genres ein: der britische Popsongwriter (Nick Lowe, Ian Dury, Elvis Costello, Wreckless Eric, Mickey Jupp u.a.) und der bisweilen haarsträubende Novelty-Schmarrn, der dem anarchistischen Faktor der Firmenpolitik entsprach: Platten wurden oft am selben Tag aufgenommen und gepresst, standen anderntags in den Läden, und so wirbelte Stiff tatsächlich Frischluft in die Mainstream-Käserei der späten 70er. Dass viele der Ergebnisse heute harmlos bis skurril klingen, macht gar nichts lustig sind die meisten immer noch. Ohne Riviera (der im Streit ging und Costello sowie die Yachts mitnahm) wurde in der Spätzeit (bis 1987) das Gefälle größer: hierdie mittelmäßigen bis grandiosen Hits von Madness, Lene Lovich, Tracey Ullman. Pogues u.a., dort die Masse der Flops von den Belle Stars bis zur hinterleuten Eintagsfliege. Dass Dr. Feelgood, die den Start es Labels ermöglicht hatten, indem sie Riviera und Robinson 400 Pfund pumpten, am Ende selber bei Stiff unterschrieben, schließt den Kreis-nicht ganz, denn seit 2006 gibt es Stiff wieder, und neue Platten von The Enemy, Eskimo Disco et al. knüpfen ziemlich genau an den frühen Geist an.
www.bestiff.co.uk
Von (Post-)Punk bis Techno-Rock: 31 Jahre The Fall in einer handlichen 5-CD-Box.
Es ist eine eher undankbare Aufgabe, das Werk einer Band, die in mehr als 30 Jahren mit über als 50 Line-ups an die 100 Alben veröffentlicht hat, auf die „wichtigsten“ Songs herunterzukompilieren. Weil sich dann gleich die Experten zu Wort melden, um die systemimmanenten Lücken zu bejammern, Die Doppel-CD 50.000 Fall Fans Can’t Be Wrong hat diese Aufgabe 2004 mit Anstand gelöst, weil trotz der Abwesenheit des ein oder anderen „Lieblingsliedes“ dann doch wieder ein hervorragendes Fall-Album herausgekommen ist. The Fall Box Set 1976-2007 will nun mit 91 Songs auf fünf CDs Einblicke in die wundervolle und furchterregende Welt des Mark Edward Smith geben. Natürlich sind fünf CDs vieeeeel zu wenig, und trotzdem stellt diese Box keine Themaverfehlung dar, weil sie gleichermaßen für Menschen gemacht ist, die noch nie einen Ton von The Fall gehört haben, als auch für solche, in deren Langzeitgedächtnis das Faktum abrufbar ist, dass die „Alternate Version“ von „Blindness bislang nur auf deramenkanischen Doppel-Vinyl-Ausgabe des 2005er Albums Fall Heads Roll erhältlich war und die vielleicht auch noch die Bestellnummer parat haben (der Vollständigkeit halber; Narnack. NCK7033). Die Single-A- und B-Seiten und Key-Alben-Tracks sind hier nicht ausschließlich in ihren bekannten Versionen zu hören, sondern auch als Demos („New Puritan“), Remixe („Hit The North“) und in Alternativfassungen („A Past Cone Mad“). Dazu: Raritäten wie das Beatles-Cover „A Day In The Life“ von der Compilation Sgt. Pepper Knew My Father, Vince Taylors später von The Clash gecovertes „Brand New Cadillac“ in einer grauenvollen Liveaufnahme aus dem Jahr 1978, die Originalversion von „Mike’s Love Xexagon“ (vom zurückgezogenen Album Country On The Click), das nur zweimal live gespielte Medley „I’m Into C.B. (Stars On 45 Version)“ hier in einer Aufnahme vom 30. September 1981 aus Manchester, auf der fünften (Live-)Disc. Die ist übrigens nur von Fan-archäologischem Interesse und hat mit „The Boss“ einen neuen Song, der in irgendeiner Form bald auf einer der nächsten Fall-Platten auftauchen wird. Selbsternannte Popexperten, die mit der Penetranz von Versicherungsvertetern gerne verbreiten, The Fall klingen immergleich, werden von The Fall Box Set 1976-2007 der Falschaussage überführt. Hier ist die Entwicklung einer der stabilsten instabilen Bands der Welt nachzuhören-vom frühen Post-Punk, der teils enervierende Qualitäten besaß, sich teils als genialer Dilettantismus erwies (das „Home Demo“ von „New Puritan“), über die von der Popgeschichtsschreibung fehlbeurteilten elektronischen Experimente der 90er-Jahre bis hin zum mechanisch-präzisen Techno-Rock der Gegenwart. Nebenbei ist auf dieser Box auch gut nachzuhören, dass keine der aktuellen britischen Bands,die sich ja immer gerne aufThe Fall als Einfluss berufen, mit dieser Musik nur annähernd in Verbindung gebracht werden dürfen. Der neueste Studiotrack hier, das autoreferenzielle „Fall Sound“ vom 2007er Album Reformation Post TLC selbstverständlich in einer „Alternate Version“ – unterstreicht das textlich. Darin heißt es: „The guitars need more Fall sound. No 80s reprobates. Fall sound. No laptop wankers overground. With Fall sound.“
www.visi.com/fall
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