Diverse – The Blue Horizon Story 1965-1970 Vol. 1
Die vorbildlich aufgemachte 3-CD-Box THE BLUE HORIZON STORY 1965-1970 Vol. 1 erzählt detailliert – und vor allem kompetent – die Geschichte des gleichnamigen Blueslabels in 70 Songs nach. Mehr als 30 Jahre ist es her, daß Labelgründer Mike Vernon Howlin‘ Wolfs begnadeten Gitarristen Hubert Sumlin für Aufnahmen in sein hauseigenes Tonstudio nach England einlud. Das Ergebnis war „Across The Board/Sumlin Boogie“, die beiden Songs jener ersten Blue-Horizon-Single, die als Beilage des „R & B Monthly Fanzines“ immerhin 99 Lesern zu Ohren kam. Mehr Platten durften dem Magazin damals aus steuerrechtlichen Gründen nicht beigelegt werden. Mit besagter Single begann eine der spektakulärsten Entwicklungen in Großbritanniens Musiklandschaft – dank Mike Vernon. Er schlüpfte in den Swinging Sixties in zahlreiche Rollen: altruistischer Blues-Maniac, Talentförderer, einflußreicher unabhängiger Produzent. Als bis dato jüngster erfolgreicher Unternehmer nichtadeliger Herkunft konnte er das damals im Dornröschenschlaf schlummernde Blues-Genre in England kommerziell etablieren. Ohne sein Zutun hätte die britische Musikhistorie wahrscheinlich einen ganz anderen Verlauf genommen. Den Stein ins Rollen brachte Vernon mit der sehr gut verkauften Single „Lonely Years/Bernard Jenkins“. Für die Aufnahme hatte er anno 1965 den schon etwas angejahrten Bluesliebhaber John Mayall mit dem jungen Gitarrenheißsporn Eric Clapton zusammengebracht. Kurz darauf sollten Mayalls Bluesbreakers – mit „Slowhand“ an der Gitarre – bei der altehrwürdigen Firma Decca einen Plattenvertrag unterzeichnen. Knapp anderthalb Jahre später, als Clapton die Band bereits verlassen hatte, kündigte sein Nachfolger Peter Green an. daß auch er bei den Bluesbreakers aussteigen wollte, um eine eigene Band (Fleetwood Mac) zu gründen. Da klopfte Vernon mit dem Demo der ersten Fleetwood Mac-Single „I Believe My Time Ain’t Long“ beim Mediengiganten CBS an. Insgeheim wußte der Labelchef, daß er mit Fleetwood Mac die heißeste britische Bluesband in der Tasche hatte – der Rest ist Geschichte. Im Sog von Fleetwood Macs weltweitem Erfolg mit „Albatross“, „Need Your Love So Bad“ und „Black Magic Woman“ (auf THE BLUE HORIZON STORY erstmals im Stereomix ohne Halleffekt), erwiesen sich die nicht minder begabten Chicken Shack („I’d Rather Go Blind“), sowie deren parallel als Solistin debütierende Sängerin, das spätere Fleetwood-Mac-Mitglied Christine Perfect („Crazy’Bout You Baby“), ebenfalls als hinreichend chartkompatibel. Aber auch unkommerziellere Einzelgänger, wie der jung verstorbene Gitarrenvirtuose Duster Bennett („I’m Gonna Wind Up Ending Up Or I’m Gonna End Up Winding Up With You“), der kurzlebige Bluesbreakers-Ableger Aynsley Dunbar Retaliation („Warning“), die nur wenig erfolgreiche Savoy Brown’s Blues Band („Can’t Ouit You Baby“) und zahlreiche, sträflichst unbeachtete Künstler und Acts wie T.S. McPhee, Stone’s Mansonry, Key Largo, Martha Velez, Top Topham oder Bobby Parker zehrten zumindest kurze Zeit von Vernons Ruhm. Die nicht unerheblichen Profite, die Vernon aus Blue Horizon zog, erlaubten dem Bluesmaniac Sessions mit diversen US-Koryphäen (Otis Spann, Johnny Shines, Sunnyland Slim) im City-Blues-Mekka Chicago aufzunehmen. Später folgten Mitschnitte von authentischem Akustik-Country-Blues mit Legenden wie Furry Lewis, Mississippi Joe Callicott und Bukka White. Damit schloß sich ein Kreis für das Label, der u.a. mit den Wiederveröffentlichungen klassischen Materials von Elmore James, Otis Rush, Magic Sam und B.B. King begonnen hatte. Blue Horizon war jedoch immer dann am besten, wenn die Traditionalisten vom Mississippi mit dem jungen, enthusiastischen Gemüse aus 3000 Meilen Übersee zusammenspielten: Kurz bevor das gerade 20-jährige Sechssaitengenie Mick Taylor 1969 bei den Rolling Stones einstieg, traf jener mit spontanen Slide-Improvisationen beim einfühlsam intonierten „Stumbling Block“ auf Altmeister Champion Jack Dupree. Ebenso inspiriert: Eddie Boyds Arbeiten mit Fleetwood Mac, oder der Beitrag der beiden Macs Peter Green und John McVie auf Otis Spanns „Temperature Is Rising“. Von den 70 Tracks aus dem Archiv sind jene letztgenannten, genreübergreifenden Projekte vielleicht am stärksten. Übrigens: Die wie ein Zombie dreinblickende Figur mit freiem Oberkörper auf dem Cover ist kein geringerer als der junge Mick Fleetwood.
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