Gentle Giant – Giant For A Day
Den ganzen Morgen laufe ich jetzt schon mit einer Pappnase herum. Die kann man – komplett mit Rauschebart und Gigantengrinsen – aus dem jüngsten Albumcover der sanften Riesen herausschnippeln. Ich mache das nur, damit keiner meine schamroten Bäckchen sieht. Denn Hand aufs Herz, liebe Rockfreunde: wir haben die intellektuellen Tausendsassas der Gruppe Gentle Giant doch immer nur solange für umwerfend avantgardistisch gehalten, wie wir uns ihre exaltierten Eskapaden nicht mehrmals hintereinander anzuhören brauchten. Selbst die ganz Mutigen unter uns haben das selten ohne ’ne gefäßentkrampfende Boogie-Woogie-Nachbehandlung geschafft. Und da will ich also schon die zehnte GG-Langrille ungehört in meiner Kultur-Krabbelkiste für anspruchsvolle Sonntagnachmittagbesucher versenken, als mein schlechtes Gewissen mir gut zuredet. Seither die Pappnase.
„Throw away your old cloak, put on your mash, be a Giant for a Day!“ Genau das nämlich haben sie die Herren Schulman & Schulman zugerufen, bevor sie sich im Studio als Rockgruppe verkleideten. Und die Maskerade sitzt wie angegossen, nimmt mit lässig verfremdender Zitiertechnik die Größen des Geschäfts auf die Schippe. Der „Little Brown Bag“ ist proppevoll mit satten Kinks-Harmonien, der „Take Me“-Refrain atmet Genesis-Geist, beim Titeltrack scheint Roxy Music zur Höchstform aufzulaufen, und der instrumentale „Spooky Boogie“ basiert auf einem herrlich verschleppten Gitarrenriff der Allman-Brothers. Das Gespenst im Geisterboogie entpuppt sich – wie sollte es bei soviel virtuosem Witz auch anders sein – natürlich als harmloser, liebenswerter Schalk. Dazwischen ein akustisches Lied, ein Popsong von rauher, ungeschliffener Schönheit, ein dickflüssiger Rocktitel mit echten Heavy-Glissandi. Eine Mordsscheibe, nicht nur wegen des Überraschungseffekts. Und wenn ich dem Ding vier Sterne gebe, dann soll keiner glauben mir wäre hinter meiner Maske zu heiß geworden. Heiß wird mir erst bei dem Gedanken, daß die Gruppe uns alle vielleicht nur fürchterlich vereimern will. Und daß das nächste Mal womöglich schon wieder so eine Kopfnuß des Monats auf meinen Teller rotiert. Aber dann lache ich nur. Denn ich weiß es jetzt ganz genau: Gentle Giant war schon immer eine Rock’n‘ Roll Band. Sie hat sich bisher bloß immer als Kulturpreisträger verkleidet.
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