Get Well Soon über Talk Talk

Ich weiß ich trage Eulen nach Athen, aber das Gähnen nehme ich in Kauf: Mein Lieblingsalbum ist LAUGHING STOCK von Talk Talk.Ein bisschen „ausgraben“ muss man dieses Meisterwerk dieser Tage ja wirklich. Schändlicherweise. Im regulären Vertrieb ist es schon lange nicht mehr. Deshalb ist LAUGHING STOCK vielleicht so etwas wie der meistzitierte „Geheimtipp“ überhaupt.Da wäre zunächst mal die faszinierende Geschichte vom Werdegang der Band. Mit Hits wie „Such A Shame“ oder „It’s My Life“ waren Talk Talk eine der erfolgreichsten Pop-Formationen der 80er Jahre. Bis sie 1989 mit dem Album SPIRIT OF EDEN einen musikalischen Schnitt in ihre Karriere setzten, der in seiner Konsequenz und Eigenwilligkeit bis heute einzigartig ist. Plötzlich hatten Talk Talk keine Stadion-Refrains mehr, sondern einfach überhaupt keine, waren extrem sperrig, improvisiert, kurz gesagt: Avantgarde, oder wie man sogar bei Wikipedia liest, hatten sie damit den Post-Rock erfunden. LAUGHING STOCK, das Folgealbum, um welches es hier gehen soll, machte dann mit seiner äußerst düsteren und regelrecht entrückten Grundstimmung noch einen bedeutenden Schritt weiter in Richtung Unzugänglichkeit. Dass die Verantwortlichen bei der neuen Plattenfirma (immerhin das Jazzlabel Verve) damals aus der Listening-Session entsetzt vorzeitig flüchteten, ist ja auch oft genug erzählte Musikgeschichte.Was mich an LAUGHING STOCK am meisten fasziniert, ist, dass man das, was in den gut 43 Minuten passiert, eigentlich nicht in Worte fassen kann. Aber nun habe ich mich in die Situation gebracht und entschuldige mich jetzt schon mal für die Unzulänglichkeit meiner Ausführungen. Aber es soll ja subjektiv sein, oder?LAUGHING STOCK beginnt mit einer 18-sekündigen Pause. Nur ein leises Gitarrenrauschen ist zu hören. Vielmehr das Geräusch des Raumes, in welchen hinein die folgende Großtat erklingen soll. Oder mit John Cage (der sein Werk Organ2/ASLAP ja bekanntlich mit einer eineinhalbjährigen Pause beginnen lässt): der Klang der „schweigensverweigernden Welt“. Es folgt ein Gitarrenakkord, der diese Stille regelrecht zerschneidet und mir jedes Mal die Brust, weil er vielleicht schon alles an diesem Album vereint, was es ausmacht: Er klingt so frei schwebend und dennoch spannungsvoll, gleichzeitig zu Tränen rührend schön wie aus einer anderen Welt. Ein kammermusikalisch, punktueller Moment der Spannung, wie man ihn zuletzt vor gut 80 Jahren bei Charles Ives oder bisweilen gar Anton Webern gehört hat.Nach gut einer Musik setzt Mark Hollis’ unverwechselbare Stimme ein: „Place my chair at the backroom door.“ So viel Schmerz klingt in dieser Stimme mit, als trüge sie das Elend der Welt auf den Schultern. Dabei ist es eigentlich egal, was er singt. Es klingt so seltsam entrückt als hätte er im Liegen gesungen, wie damals ein Rezensent bemerkte. Er soll im Studio viel mit Kerzen und Weihrauch gearbeitet haben. Und regelrecht orthodoxe Erfurcht ruft sein entwaffnender Gesang hervor, an den heute allerhöchstens ein Will Oldham heranreichen kann. Diese unbegreifliche Sphärenmusik von „Myrrhman“, dem ersten Stück der Platte, endet in einer überirdischen Streicherseligkeit und damit den vielleicht schönsten gut 1,5 Minuten Musik, die je auf Band verewigt wurden.Man könnte mit einer unendlichen Liste an musikalischen Skurrilitäten fortfahren, die sich die Herren Hollis und Friese-Greene haben einfallen lassen, die aber bei aller Ausgefallenheit immer eines sind: einfach nur wunderschön. Und das ist es dann auch, was diesen düster-erhabenen Monolithen (eine verhasste, aber ausnahmsweise passende Vokabel) von einem Album auszeichnet. Es ist Avantgarde, d.h. allem heutigen, das es vor fast 20 Jahren vorweg genommen hat, immer noch kilometerweit voraus, sperrig, niemals vorhersehbar und zu jeder Sekunde so unzweifelhaft eigenwillig, als sei es nicht von dieser Welt. Aber gleichzeitig immer emotional zutiefst ergreifend und von einer ästhetisch erhabenen Vision durchdrängt, die mich zumindest einfach nur glücklich macht (und natürlich maßlos einschüchtert). Ich glaube, so würde ich meine musikalische Idealvorstellung definieren und also auch eines meiner Lieblingsalben, an dem ich mir mein Leben lang die Zähne ausbeißen werde.Konstantin Gropper hat Anfang 2008 mit seinem Projekt Get Well Soon das Album

REST NOW WEARY HEAD, YOU WILL GET WELL SOON

veröffentlicht und geht im April ein weiteres Mal mit großer Bandbesetzung auf

Tour

. Für musikexpress.de hat er die Songs

People Magazine Front Cover

und

Help To Prevent Forest Fires

unplugged eingespielt.

Konstantin Gropper – 07.02.2008

Get Well Soon gibt es bei