Gewalt

Paradies

Clouds Hill/Warner (VÖ: 5.11.)

Pulsadern auf oder doch lieber tanzen? Das Berliner Brachial-Industrial-Trio weiß auch keine Antwort, aber das sehr laut.

Es musste schon immer etwas größer sein bei Patrick Wagner: die Gitarren breiter, die Gesten ausladender, die Parolen radikaler, die popkulturelle Weltherrschaft umfassender. Nun aber, mit PARADIES, dem ersten langen, ja, Werk seiner Band Gewalt, wird der Drang zur Größe endgültig zum Größenwahn.

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Das Doppelalbum mit 21 Stücken, von denen die zweite Hälfte aus Neuabmischungen alter Singles besteht, wird nicht nur begleitet von einem Buch, in dem die Songs von der Künstlerin Fehmi Baumbach interpretierend bebildert werden, sondern hat auch noch den Anspruch, den aktuellen Zustand von Gesellschaft, Land, Welt in dystopische Klänge und Worte zu fassen. „Stirb es gleich! Stirb alles!“, singt Wagner. Oder das: „Was uns verbindet, ist unsere Gier“ – und das wirkt im großen Zusammenhang geradezu optimistisch weil verbindend.

Mit PARADIES wird der Drang zur Größe endgültig zum Größenwahn

Es geht um „Unterwerfung“, um „deine verfickte Seele!“, um den Schmerz, der „wie aus Nichts zusticht“, um ein „Paradies“, das eigentlich die Hölle ist, und selbst der „Jahrhundertfick“ macht einem vor allem Angst, aber garantiert keine Lust. Dazu rattern die Gitarren von Helen Henfling und Wagner wie bösartige, menschenfeindliche Maschinen, der Bass von Jasmin Rilke bohrt sich tief in die Drumcomputer-Beats, die wie die verlorene Utopie aus einem Fritz-Lang-Film klappern. Ja, es ist Industrial- Rave, ist bisweilen funky, man könnte sogar dazu tanzen, wenn man nicht gerade an seinen Pulsadern herumfummeln würde.

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Natürlich weiß man nie so recht, wo bei Wagner, Initiator der „Fuckup Nights“, Ex-Labelchef von Kitty-Yo und Louisville, und Mastermind hinter der – nach Selbstauskunft – „überbewerteten Avantgarde-Band Surrogat“, die selbstdistanzierende Ironie endet und der heilige Ernst beginnt, aber gerade in dieser Ambivalenz liegt natürlich auch der Reiz. Oder die Chance, dass Musik doch noch etwas verändern könnte. Gewalt jedenfalls hätten die Kraft dazu.

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