Helgoland – 99
Dürfen Menschen kulturelle Entäußerungen rezensieren, an denen sie selbst mitgewirkt haben? Bevor jetzt kategorische Anworten fallen, lassen Sie mich erklären: Mitte letzten Jahres beschlossen Helgoland, drei äußerst sympathische Bilderstürmer aus der freien und Hansestadt Hamburg, ihr Bandkonzept temporär zu öffnen und luden über drei Tage Gäste zum freien Spiel. Die Beteiligten wußten, worauf sie sich einließen: alles, was dieses Trio bislang von sich gegeben hatte, waren Miniaturen aus Blei und Stacheldraht, gestauchte Konzentrationsübungen, Songfragmente in Überschall. Meta-Rock, -Noise, -Jazz. Die Kommunikation aus Bass, Schlagzeug und Synthie durch mehrere Stimmen, Gitarre, Elektronik und Saxophon zu erweitern, war in Anbetracht der sportlichen Rekordwerte, die bereits erreicht waren, sinnvoll und für alle Beteiligten großer Spaß ohne Übermaß an planerischer Arbeit. Schließlich ging es nicht darum auszuformulieren, höchstens darum, möglichst wenig Wiederholung zuzulassen. Aus 200 mehr oder weniger kommunikativen Ausbrüchen wurden schließlich für die CD 99 ausgewählt, deren Gesamtlänge knapp über 30 Minuten beträgt. Das ist nicht lang, doch trotz oder gerade wegen der Vielzahl von Klangfarben und strukturellen Überraschungen dürfte es selbst gut trainierten Ohrbodybuildern schwerfallen, über die gesamte Zeit die Konzentration aufrechtzuerhalten. Das macht aber nichts. Denn hier geht es nicht um Repertoirewert, sondern eher um die Bereicherung des musikalischen Farbspektrums. Wie ein Sandsack und ein Buch von Bataille gehört auch ein Helgoland-Tonträger in jeden Haushalt. Schmerzvoll, kathartisch, unterhaltsam und bildend.
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