Jazz

TRAVELS (ECM 1252/53), das Live-Doppelalbum der Pat Metheny Group, hat wieder den Biß. den OFF-RAMP, die letzte, mehr als glatte Studio-Produktion, vermissen ließ.

Eine neue Version von „Are You Going With Me“ macht den Kontrast sofort deutlich: Pat hebt ab mit einem langen, lärmenden, scharfkantigen Gitarren-Synthesizer-Solo, seine Improvisation wird von Dan Gotthebs peitschenden Becken-Schlägen und Lyle Mays‘ impressionistischen Keyboards getragen. Während die Studio-Version honigsüß und ohne rechte Stimmung dahinplätscherte, klingt die Konzertfassung kräftig und lebendig.

Das, Repertoire, aufgenommen bei einer US-Tour, ist eine brauchbare Metheny-Retrospektive. Alte Lieblings-Nummern sind vertreten, zum Beispiel die ewig jungen Losgeher „San Lorenzo“ und „Phase Dance“, das zarte „Goin‘ Ahead“ (aus Pats 80/ 81er-Programm) und eine außergewöhnlich überzeugende Interpretation von „As Falls Wichita, So Falls Wichita Falls“, vielleicht die reifste Gemeinschafts-Komposition von Pat und Lyle.

Es gibt auch neues Material: Die lateinamerikanisch beemflußten“Song For Bilbao“ und „Straight On Red“ überzeugen auf Anhieb. In beiden Nummern versucht Lyle Mays – am Piano – Metheny dessen Gruppen-Dominanz streitig zu machen, und erweist sich‘ Solo für Solo als ebenbürtiger Gegner,..

Der Jazz ist schon so lange die Domäne von Snobs, daß es zum guten Ton gehört, sich über Metheny und seinen kommerziellen Erfolg lustig zu machen. Trotzdem hat es meiner Ansicht nach noch nie eine Band, gegeben, die die vielen Fallgruben im Niemandsland zwischen Rock und Jazz so konsequent umgangen hat…

(5)Die beste Free-Jazz-Big Band unserer Zeit, das Globe Unity Orchestra, sorgt mit INTERGALACT1C BLOW (Japo 60039) für ein willkommenes Wiederhören. Unter den gewohnten Gesichtern sind auch einige neue: Der japanische Trompeter Toshinon Kondo ist jetzt mit von der Partie, ebenso Posaunist George Lewis, Bassist Alan Silva und der ostdeutsche Saxophonist Ernst-Ludwig Petrowsky.

Das‘ frei improvisierte Album klingt präziser und durchdachter als das wilde Globe-Unity-Geblase von früher, als Peter Brötzmann im Vordergrund rumorte. Die Gefahr liegt darin, daß diese Musik, wenn sie sich zu eifrig darum bemüht, „ernst“ zu wirken, schnell wie zeitgenössische Klassik klingt; „Phase A“ und „Phase B“ auf der ersten Seite können dieser Falle nicht so recht aus dem Weg gehen. „Mond Im Skorpion“ dagegen schafft eine Ausgeglichenheit, bei der mehr von der Persönlichkeit der Musiker rüberkornmt; besondere Erwähnung verdient “ das schnelle Wechselspiel zwischen Band-Leader Alex Schüppenbach (Piano) und Paul Lovens (Schlagzeug). (5)

Auch die Schweizer Firma Hat Hut, zur Zeit das hipste Jazz-Label weit und breit, hat einen interessanten Stoß Neuerscheinungen zu bieten. Cecil Taylors CALLING IT THE 8TH (Hat Musics 3508) ist ein typisch explosiver Live-Auftritt mit dem altgedienten Taylor-Gefährten Altsaxophonist Jimmy Lyons,(der neulich bei Hat Hut das schöne Album RIFFS herausbrachte), plus William Parker (Baß) und Rashid Bakr (Schlagzeug). Die Qualität des Zusammenspiels von Taylor und Lyons ist bereits hinlänglich bekannt, doch erst diese besondere Besetzung erreicht einen überraschend kraftvollen Höhepunkt an rhythmischer Geschlossenheit.

Drummer Bakr (war mir vorher unbekannt) ist eine echte Bereicherung, er kann es leicht mit jedem seiner Vorgänger aufnehmen; auf dieser Liste stehen immerhin Meister wie Sunny Murray, Andrew Cynllen und Shannon Jackson.(6)

Ein anderer Ex-Taylor-Schlagzeuger, Dennis Charles, taucht auf einem Album im Duett mit Violinist Billy Bang auf. Letzteren konnte man zuletzt als Solist bei der Rockgruppe Material hören. Auf BANGCEPTION (Hat Musics 3612) stellt Charles mit vollen, satten Tomtom-Tönen seine Qualitäten als melodischer Drummer unter Beweis. Das Material umfaßt verschiedene Stimmungen, von Versuchen mit freien Klängen bis zu Humor und Ironie – mir gefiel die sehr einfache und bewegende Version von Ornette Colemans schöner Ballade „Lonely Woman“ am besten.(5)

L’HOMME ETOILE (Hat Musics 3510) von Raymond Boni ist so ziemlich das originellste Gitarren-Album, das ich seit Jahren gehört habe. Erst wollte ich mir das Ding gar nicht anhören, weil ich mich von Sologitarren-Platten irgendwie übersättigt fühlte, nachdem ich jahrelang Towner, Abercrombie. Connors, Frisell, Coryell, Eliovson usw. gehört hatte, für die „Empfindsamkeit“ kaum mehr als eine Stilform ist.

Boni wirkt auf mich doppelt so phantasievoll und ungefähr halb so sentimental wie irgendeiner aus diesem Haufen Man fühlt, daß hinter dieser Musik ein forschender Geist steckt, daß sich das Nebeneinander von schwindelerregenden Noten-Schauern und bedeutungsschwangerer Stille zu etwas Neuem ergänzt, daß die Verwendung des Echos nicht bloß ein atmosphärischer Effekt, sondern wirklicher Bestandteil dieser Kompositionen ist.

Obwohl im Grunde .introvertiert, ist die Musik gleichzeitig lebhaft impressionistisch.. . ich stelle mir ständig Unterwasser-Szenen vor; die Bewegungen werden langsam und traumhaft, die Farben intensiver…

Was die Jazz-Techniken angeht, fängt Boni irgendwo bei Gershwin und Reinhardt an und führt uns bis in die Zukunft. Eine faszinierende Platte. (Hat-Hut-Platten werden in Deutschland von Jazz by Post, Gleichmannstr. 10, 8000 München 60, vertrieben.) (6)