Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm

Pfiffige Idee: Ein junger Mann schleust sich ins Popmusikgeschäft ein, um dort nach Wallraff-Vorbild investigativ tätig zu werden und sein heimlich angeeignetes Insiderwissen über das Gewese zwischen den Chefetagen und Knochenmühlen der geheimnisvollen Bewusstseinsindustrie danach der Öffentlichkeit vorzulegen. Leider ist der Plan von Tim Renner gründlich schiefgegangen, denn als er 1986 erst mal drin war im Zyklon des Wirtschaftsfaschismus, konnte er sich dem wirbelnden Wehen nicht entziehen; er wirbelte mit, schenkte der Welt unverzichtbare Kostbarkeiten wie Phillip Boa und fand sich innerhalb (wirtschaftshistorisch betrachtet] kürzester Zeit selber auf einem Chefsessel wieder. Dann geriet er mit noch höheren Führern aneinander Iwegen der vielbemühten „Inhalte“, stieg aus und hat nun doch sein Buch geschrieben – das jedoch investigativ nicht mehr sein kann, weil Renner die Ideologie des Systems so sehr verinnerlicht hat. dass er [man kennt diesen Mechanismus] darin keine Ideologie mehr sehen kann und die Sprache der Ideologie nicht beherrscht, sondern sie ihn. Das bedeutet, dass, wer etwas erfahren will aus diesem Buch, viel zu tun hat: Man muss sich eisern hindurchkämpfen durch Halden von Phrasen, Gemeinplätzen, Wortmüll, falscher Grammatik und Promo-Sprech. durch ein Buch, in dem bis Seite 42 kein und auch danach kaum ein Mensch vorkommt (der erste ist Alfred Hilsberg), sondern nur Funktionseinheiten und abstrakte bzw. sehr konkrete Flüsse von Tauschmitteln, Produkten, „Marken ; man muss Renners spitznäsig posaunende Angeberei ertragen und beide Augen zudrücken können, wenn er aus Bob Marley einen kleinen Hitler macht [„erst Jamaika, dann die ganze Well“), ein zusammengekauftes Firmenkonglomerat als „Bouquet“ bezeichnet, innerhalb einer Buchseite aus „vertikalem Denken“ eine „vertikale Integration“ und – ruckzuck -„integriertes Denken „erschwafelt lohne anzudeuten, was die Bildungsjargon-Nullwörter eigentlich bedeuten sollen) und das Wort „Player“ erst auf eine Firma, ein paar Zeilen weiterauf ein Abspielgerät und kurz darauf auf eine ganze Branche anwendet. Und wenn man auf Seite 21 von einem „harten Sanierungsprogramm“ erfährt, „dem mehr als 50.000 Kollegen zum Opfer fielen“, wundert man sich sekundenlang, von diesem Massenmord gar nichts mitbekommen zu haben; aber klar: Es geht auch hier nicht um Menschen, sondern um Funktionseinheiten der großen Maschine, die Renner nicht beschreibt, sondern schreiben lässt. Wenn man all das (ebenso wie seine wirren „Visionen“ für die Zukunft] erträgt und bereit ist, die nötige Übersetzungsarbeit zu leisten, lassen sich dem Buch durchaus erhellende Einsichten (und sogar recht spannende Episoden] abgewinnen. Es werden größtenteils gänzlich andere Einsichten und Erkenntnisse sein als die. die der Autor vermitteln möchte, aber das ist in einem solchen Fall halt nicht zu vermeiden. Schwer fällt die Bewertung; da gehen wir jetzt einfach angemessen arithmetisch vor: