Lou Reed – Live – Take No Prisoners
Noch ’n Live-Album von Lou Reed. Die einen werden es als Liberfällig, die anderen als überflüssig bezeichnen. Welcher Normalverbraucher stellt sich schließlich schon die vierte Live-Version von „Sweet Jane“ oder „Waiting For My Man“ ins Regal, die dritte von „Pale Blue Eyes“, die zweite von „Satellite Of Love“ und „Walk On The Wild Side“? Womit bereits das halbe Repertoire dieser Doppelrille benannt wäre. Allerdings: gerade in diesen Uralt-Rennern bricht der ebenfalls nicht jünger werdende Underground-Heros radikal mit Vorlagen und Hörerwartungen: da verändern sich Worte, Zeilen, Zusammenhänge, da verschieben sich Rhythmusstrukturen, da bleibt von einer ganzen Komposition oft nichts als das Riff-Thema stehen, das in unablässiger Wiederholung den Hintergrund bildet für die Reflexionen, Possen und Provokationen Lou Reeds. „Waiting For…“ gerinnt so zum zeitlupenhaften Boogie, der mit dem Original nur mehr den Titel gemein hat, und „Walk On The Wild Side“ ist ein ironisch gespreizter 17Minuten-Song über den 4-Minuten-Song „Walk On The WildSide.“
Derlei verbale Selbstbespiegelung geht natürlich arg auf Kosten der Musik, desgleichen die recht rüden Dialoge mit dem Publikum im New Yorker Club „Bottom Line“, in dessen rauchiger Atmosphäre die Platte Mitte 1978 per Kunstkopf eingespielt wurde. Das Stakkato spontaner Plaudereien nimmt in dem Maße ab, wie die Songs jünger werden: „Berlin“ und das stark autobiographisch gefärbte „Coney Island Baby“ lassen erstmals die Potenz der fünfköpfigen Backing-Group ahnen (Fogel/Fonfara/ Suchorsky/ Heinrich/ Boles), und „I Wanna Be Black“, „Leave Me Alone“ und „Street Hassle“ (aus dem letzten gleichnamigen Studioalbum) sind dann ziemlich hart an den Vorlagen, mit sperrigem, ungeschliffenem, eingeschwärztem und angejazztem Garagensound.
„Take No Prisoners“ ist ein durch keinerlei Overdub geschminktes Live-Album, zu dem schwerlich Zugang finden wird, wer seinen Lou Reed nicht bereits in- und auswendig kennt. Altfans indes kriegen ein echtes, unwiderbringliches Glück Clubatmosphäre geboten, das in künstlerisch-dokumentarischer Hinsicht echtes Bootleg-Format hat. Über etwas allerdings dürfen auch die sich schwarzärgern: darüber nämlich, daß die „colored girls“ die ganze Platte über ihr penetrantes „doo doo doo“ zirpen. Aber das gehört zu amerikanischen Stars offensichtlich genauso wie der Ketchup auf einen Big Mac ……