Magda :: From The Fallen Page

Das Techno-Album des Jahres: Magda liefert auf ihrem Debüt über die Stationen Detroit und Berlin den düster-dräuenden Soundtrack zum Untergang.

Die Frage wird ja immer wieder gerne mal gestellt: Wie zeitgemäß ist die Institution Album in der elektronischen Musik heutzutage noch, wo doch die Tendenz eindeutig zum Track geht. Oder tut sie das gar nicht? From The Fallen Page ist das Ausrufezeichen hinter einem Jahr, das diese Sinnfrage mit ausgestrecktem Mittelfinger aus sich selbst heraus beantwortet hat. 2010 war ein sehr guter Jahrgang für die elektronische Musik im Allgemeinen und für Alben im Besonderen. Wir erinnern an die LPs von Marcel Dettmann und Shed, von Mount Kimbie und Darkstar, von Baths und Lukid. Und Magda setzt nun mit ihrem Artist-Debüt den düster-dräuenden Schlussakkord dazu.

Magdalena Chojnacka, 1974 im polnischen Zywiec geboren, ist nicht unbedingt eine der produktivsten Produzentinnen elektronischer Musik. Die Veröffentlichung ihrer letzten eigenen Arbeit, die EP Stop, liegt jetzt auch schon fünf Jahre zurück. Magda ist in erster Linie DJ. Und das seit 14 Jahren. Das könnte ein Grund dafür sein, weshalb die Wahlberlinerin ihr Debütalbum als Produzentin erst im stolzen Alter von 36 Jahren veröffentlicht. Auf She’s A Dancing Machine aus dem Jahr 2006 mixte sich Magda im Verlauf von 70 Minuten durch 72 zeitgenössische Minimal-Techno-Tracks. Dieses mithilfe der Software „Ableton Live“ hergestellte Mix-Album begründete eine neue digitale DJ-Kultur. Die Ausdifferenzierung einzelner Tracks wird nahezu unmöglich, aus fremden Material entsteht in mikroskopisch kleinen Edits eigenes. Was wiederum auf die Anfänge der DJ-Kultur verweist, als sich die HipHop-DJs aus memorablen Breaks von Funk- und Disco-Songs ihre eigenen Tracks zusammenmixten.

From The Fallen Page fällt aus diversen Rahmen – aus dem von Richie Hawtins Minus-Label, aus dem, was gemeinhin unter Minimal Techno verstanden wird, aus Magdas eigenen Arbeiten, aus dem zeigenössischen Techno, der heftig mit Dubstep flirtet. Oder schamlos und unreflektiert retro sein will. Nichts dagegen, denn nur Kleingeister fordern die Innovation aus dem Vakuum einer einflussfreien Zone. Magda aber hat verstanden, dass es nicht mehr darum geht, aus dem Nichts heraus etwas Neues zu schaffen, sondern ähnlich wie bei ihren DJ-Sets das Alte zu extrahieren, zu filetieren, zu ordnen und zu etwas Ungehörtem zusammenzusetzen.

Ein Track hier heißt „Doom Disco“ und liefert die Überschrift zum ganzen Album. Die Kickdrum hält stoisch den Beat, während eine subsonische Bassline zielsicher auf die Fiesheitsgrenze zusteuert, dazu liefert Magda die Spukeffekte aus den vergessenen Geisterhäusern der Musikgeschichte. Wir feiern uns den Untergang schön. Magda malt bildgewaltige musikalische Bedrohungs-szenarien, spooky Ambienttexturen ziehen sich wie ein schwarzer Faden durch die zehn Tracks. Die sind einerseits Reminiszenz an den Detroit-Techno (Magda begann ihre DJ-Karriere 1996 in Detroit, wohin sie mit ihrer Familie in den 1980ern umgezogen war), andererseits an den eher elektronisch grundierten Post-Punk der späten Siebziger Jahre. Der Track „Little Bad Habits“ etwa mit seiner ausgefransten Bassline erinnert an die Proto-Industrial-Band Cabaret Voltaire. „Get Down Goblin“ wiederum verweist auf die italienische Band Goblin, deren Soundracks für die Horrofilme von Dario Argento und George A. Romero ähnliche Beklemmungen auslösen können wie die Musik Magdas.

Die Unterschiedlichkeit der Einflüsse auf diesem Album – Detroit, Ambient-Soundscapes, maschinelle Maschinenbeats, acid-nahe Weirdo-Effekte bis hin zu verspielter Novelty-Elektronik – wird durch die Grundstimmung auf das höchste Homogenitätslevel gehoben. Dark, darker … Magda! Man muss es so sagen: From The Fallen Page ist nicht weniger als das Techno-Album des Jahres.