Manie Street Preachers – The Holy Bible – 10th Anniversary Edition

Während der Deutschlandtour der Manie Street Preachers im Herbst 1993 drangen eines Abends nach dem Soundcheck aus ihrer Garderobe seltsame Klänge: schräge, wilde, monströse Geräusche und Melodien, die mit ihrem zweiten Album GOLD AGAINST THE SOUL, das gerade erschienen war, überhaupt nichts zu tun hatten. Auf meine Frage, was das sei, antwortete James Dean Bradfield etwas beschämt, das seien neue Demos, die eigentlich noch gar niemand hören sollte, weil die Band selber nicht sicher war, ob der Weg, den sie da ging, ein gangbarer sein würde – schließlich hatten sie einen Vertrag bei einem jener supergroßen Majorlabels, die nicht dafür bekannt sind, Extremes und Experimentelles zu schätzen und zu veröffentlichen. Richey Edwards verbrachte derweil seine freie Zeit damit, Inspirationen für entsprechende Betextung zu suchen. Er fand sie auf Ausflügen zu so ziemlich sämtlichen KZ-Gedenkstätten auf deutschem Boden (das sind viel weniger, als man glauben möchte) – und in seinem eigenen Zustand, der mit dem Wort „miserabel“ noch arg beschönigend beschrieben wäre. Ein gutes Jahr später trafen wir uns wieder; da sah die Band komplett anders aus: In Straßenkampf-Klamotten, Camouflage-Utensilien und mit schwarzer Farbe im Gesicht tobten die zuvor scheinbar auf die kommerzielle Autobahn eingebogenen Ex-Glam-Punk-Popper im Vorprogramm von Suede als Kulturterroristen über die Bühne und spielten eine Musik, der nicht nur live, sondern auch und mehr noch auf dem neuen Album gelang, was Popmusik in den allerseltensten Fällen gelingt: eine perfekte Verbindung von Schmerz, Leid, Schmutz, Grauen und bewegender, strahlender, alles überragender Schönheit. Vielleicht wusste Richey da schon, dass THE HOLY BIBLE sein letztes, finales und darum für alle Zeiten gültiges Statement bleiben würde – während der Tournee [die kurz darauf abgebrochen wurde] kaufte er sich ein Schlachterbeil, um sich die Finger abzuhacken; keine sechs Wochen später war er verschwunden. Und plötzlich sind zehn Jahre vergangen, und die Platte ist – DVD-Beilage hin, Extra-CD mit US-Mix, Liveaufnahmen, Demos etc. her -, was sie war: schrecklich, schön und für alle Zeiten gültig. Muss man sie haben? Gegenfrage: Muss man überhaupt irgendwas haben? Wenn ja, dann schon.

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