My Bloody Valentine

mbv

Die Rückkehr des brachialsten und zärtlichsten Himmelfahrts-Gitarrenpop. Muss gefeiert, nicht besprochen werden.

Was sind lächerliche 22 Jahre für einen Künstler wie Kevin Shields, der in der Lage ist, die Ewigkeit in seine Musik einzuschließen? Und was, lieber Plattenmeister, bedeutet „vier Tage nach Redaktionsschluss“ für einen Rezensenten, der um genügend Zeit und Ausdrucksmöglichkeiten ringt, diesem Album, auf das keiner mehr zu hoffen gewagt hatte, irgendwie gerecht zu werden? „Zeit ist das Gold unserer Tage“, sagt da aber der Plattenmeister (wenn man es ihm in den Mund legt), „und ich habe keinen solchen -Scheißer im Keller!“

Tatsächlich ist ein paar Tage nach Erscheinen (am 2. Februar wurde das Album ins Netz gestellt) die ganze Welt ja eigentlich auch schon wieder durch mit mbv. Längst hat jeder, der von Berufswegen oder aus Berufung zur Popmusik Meinung kundzutun hat, mbv besprochen, eingeordnet, abgeheftet. Es gibt einfach nichts mehr, was mit noch so großem Gewicht einschlagen könnte, als dass es nicht umgehend nach seiner Materialisierung, hier also im Moment der Verfügbarmachung im Internet, bewertet werden würde.

Sicherheitshalber haben gleich alle Kritiker mit eingestimmt in den Chor der Verzückung. Fazit der Beweisführung: My Bloody Valentine seien Meister eigener Klasse, Kevin Shields (der die Platte fast im Alleingang eingespielt hat, irgendwann zwischen 1996 und Ende des letzten Jahres) als Musikant, Gitarrist und Songschreiber, vor allem aber als Arrangeur und Produzent, eine Art Gott, denn seine Male sind Alleinstellungsmerkmale.

Warum das dritte Album von My Bloody Valentine auf so großen Zuspruch trifft, hat natürlich zuerst einmal vor allem damit zu tun, dass Comebackler immer einen Bonus bekommen – als Zeitreisende aus einer Welt des Frühers, die uns aus unterschiedlichsten Gründen meist besser gefällt als das Heute. Sagenumwobene, nicht zuletzt durch die Shoegaze- und Dreampop-Revivals der vergangenen Jahre vollends verklärte Sound-Architekten wie Kevin Shields bekommen natürlich einen besonders dicken Bonus.

Was mbv aber tatsächlich heraushebt aus dem irrwitzigen Popwust unserer Tage, darf auch als Kommentar auf diesen Wust und auf den gehetzten Häscher-Betrieb drumherum gelesen werden: Dieser Platte ist nicht nur die Zeit, aus der sie stammt, herzlich egal. Dieser Platte ist auch die Zeit, in die sie geworfen wird, egal. Dieser Platte ist die Zeit egal. Obwohl sich anhand einiger Details unterhaltsame Vergleiche zwischen den Neunzigern und den Retro-Sounds von heute anstellen lassen, sind das doch kaum mehr als Fußnoten. Mit „Is This And Yes“ gibt es zum Beispiel ein Stück auf MBV, das an die Brian-Wilson-verrückten High Llamas von damals erinnert, und an das poppige „New You“ hat Kevin Shields einen gemäßigten Madchester-Rave-Beat unten rangeschraubt, das funktioniert immer noch wie 1991. Eine Feststellung wie die, dass nach dem schwindelerregenden „Vorgänger“ Loveless die Bassgitarre bei My Bloody Valentine nun wieder stärker hervortrete, ist letztlich sogar kaum mehr als Stammelei.

Denn was sollte einen das scheren? In einer Besprechung zu mbv kann es doch letztlich nur darum gehen, was diese Musik mit einem macht. Doch dazu taugen Worte kaum: Sie überwältigt einen. Sie wälzt endlos die Akkorde und saugt einen damit auf. Sie ist auf unglaublich brutale und brachiale Art sehr zärtlich mit einem. Man will sie nur noch hören. Auch wenn damit das ganze Gewese unserer Zunft enttarnt wird, kommt man doch nicht umhin, es zuzugeben: Das, was diese Platte ausmacht, kann man nicht beschreiben. Man muss sie hören. So laut, wie es gerade noch geht.