Nachts im Dschungel – „Die Zeit nach Mitternacht“ von Martin Scorsese :: Kinostart: 22. Mai
Für den gewalttätigen Wahnsinn, der unter der glatten Oberfläche modernen Großstadtlebens lauert, gibt es keinen besseren Regisseur als den Amerikaner Martin Scorsese. der mit Filmen wie „Hexenkessel“ und „Taxi Driver“ eine Spitzenposition unter den Regisseuren des jungen Hollywood eingenommen hat. Zu Hause ist Scorsese allerdings schon immer in New York. Dort spielen auch seine Filme. die sich immer an ganz konkreten Situationen und Menschen orientieren — und nicht im luftleeren Raum des Phantastischen wie die seiner noch erfolgreicheren Konkurrenten Spielberg und Lucas.
Hinderlich auf dem Weg zum ganz großen Publikum war Scorsese immer sein Hang, den Sinn des Lebens grundsätzlich in Frage zu stellen — depressiv wie in „Raging Bull“ oder satirisch wie in „King of Comedy“. Sein jüngstes Werk „Die Zeit nach Mitternacht“ ist nun seine erste Komödie geworden: Die irrwitzige Odyssee eines mittleren Angestellten durch die ausgeflippte nächtliche Szenerie des Künstlerviertels SoHo.
Der Textprogrammierer Paul (Griffin Dünne) ahnt nichts Böses, als ihn in einem Schnellrestaurant die etwas nervöse Marcy (Rosanna Arquette) anspricht. Weil er sich vorm Schlafengehen langweilt, ruft er sie kurz darauf sogar an. Ein wenig hat er sich verliebt. Ein erotisches Abenteuer scheint zu winken.
Doch schon auf dem Weg nach So-Ho, wo Marcy mit einer Freundin ein Loft bewohnt, steigt Paul ins verkehrte Taxi. Der neurotische Fahrer jagt so um die Kurven, daß Paul sein Geld zum Fenster herausflattert. Da steht er nun. kurz vor Mitternacht, in einem Stadtviertel, das sich für ihn bald als so exotisch erweist, wie der asiatische Dschungel für einen GI.
In der Welt der Nacht, der „Zeit nach Mitternacht“, gelten andere Gesetze, regieren andere Bosse als Pauls Bürocomputer. Bargeldlos, vom Pech verfolgt, aber auch von einer Ansammlung merkwürdiger junger Damen, wird aus dem Abenteurer Paul schnell ein Gejagter, der sich in bedrohlichen Discos, zwischen Straßenmädchen, Punkern. Schwulen, Straßenräubern. Einbrechern und Kneipenwirten bedroht fühlt.
Eigentlich, so demonstriert Scorsese mit leichter Hand, läßt sich die Welt der Außenseiter als die „normale“ begreifen, eigentlich reagiert der „Normalbürger“ Paul seltsam und kontaktgestört. Und hinter der Komödie der zwischenmenschlichen Mißverständnisse und des Mißtrauens, die sich zynisch und rasant entwickelt, scheint dann doch wieder auch die Tragödie hindurch. Normaler menschlicher Umgang miteinander scheint in der modernen Gesellschaft immer unmöglicher zu werden.
Doch das ist nur ein Seitenaspekt. Vor allem lädt Scorsese zu einer atemberaubenden Achterbahnfahrt durch die Scene New Yorks ein. Und aufgepaßt: In der Disco „Berlin“ bedient der Meister höchstpersönlich in ausgeflippter Generalsuniform den Suchscheinwerfer. Spätestens da sieht man: Paul, die Filmfigur, hat viel von ihrem Schöpfer Martin.
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