Nirvana – With The Liqhts Out :: Licht ins Dunkel

Rockhistorisches Sightseeing, bitte folgen Sie uns, hier, dieses Artefakt bietet einen Blick in die Geschichte, einen faszinierenden Einblick in eine Welt kurz vor der Sprungschicht zum Rüberblubbern in eine neue. Wir sehen Nirvana am 17. April 1991, live im „OK Hotel“ in Seattle; ein Schlussakkord verklingt, ein paar hundert schwitzende Jugendliche verschnaufen vom Moshen, Kurt Cobain kündigt das nächste Stück an: „This song is called, Smells Like Teen Spirit“. Und: Keine Reaktion. Das grobkörnige Video von der ersten öffentlichen Performance des Songs, der zur Marseillaise der „Alternative Rock Revolution“ wurde, führt uns ganz nahe heran an den Graben, den die Explosion von Nirvana und Grunge im Herbst 1991 reißen sollte. Und da drüben, noch im Nebel, ist das neue Gesicht des Rock’n’Roll, schwummert der Paradigmenwechsel.

Vielleicht ist es ja dem Flop von Courtney Loves Soloalbum im Frühjahr zu verdanken, dass endlich diese seit so vielen Jahren angekündigte Box erscheinen kann. In einem juristischen Eiertanz und wohl primär aus unergründlichen Ego-Ursachen hat Love als Mitinhaberin von Nirvana-Rechten jahrelang alles daran gesetzt. Krist Novoselicund Dave Grohl diese Veröffentlichung von Outtakes, Demos, Raritäten und Live-Aufnahmen untersagen zu lassen. Jetzt scheint die Berufswiderspenstige, letzthin schwer vom Gleis gelaufen, andere Probleme zu haben und/oder Geld zu brauchen. Jedenfalls ist ein Friedensschluss da. Und damit WITH THE LICHTS OUT.

Drei proppenvolle CDs, 81 Tracks, davon 68 bislang unveröffentlichte Aufnahmen, dazu eine DVD- klingt nach der „ultimativen“ Anthologie. Aber das muss klar sein: Das große Alles-Drum-und-Dran-Paket „für alle Nirvana-Fans und die, die’s werden wollen“ ist das hier nicht. Wer Nirvana-Fan werden will – ein hehres Ziel -, soll sich sehr laut NEVER MIND und IN UTERO anhören und sich weghauen lassen von der schieren glorreichen Kraft der „letzten wichtigen Rockband“ (wie Journalist Neil Strauss Nirvana in seinen Co-Liner-Notes nennt; und bevor gleich wieder aufgeheult wird, kurz mal überlegen: Er mag sehr Recht haben). Diese Box ist für die, die in die Tiefe tauchen wollen. Sie geht ans Eingemachte. Schaut in die Ecken, zwischen die Ritzen, zeigt die Skizzen, die Zwischenschritte. Zeigt das Reifen Nirvanas zu einer Naturgewalt von Band; ein Quantensprung hierin – nachzuhören auf dem Demo zu „Aneurysm“ von Neujahr 1991 und dem trotz Super-LoFi einiges niederrockenden ersten Demo von „Smells Like Teen Spirit“ – ist im Oktober 1990 mit dem Eintritt von Drummer Dave Grohl getan. Grohl mit seinem betonharten Bonzo-Punch und Novoselic mit seinem McCartney-esk melodischen Bass sind die Rhythmusgruppe from heaven.

Primär natürlich zeigt WITH THE LIGHTS OUT das Heran-, über sich Hinauswachsen von Kurt Cobain als Songwriter, Künstler und Stimme. Nicht der „Stimme einer Generation“, sondern dieser Stimme, die Thurston Moore in seinen mit Gold aufzuwiegenden Liner-Notesals „punk rock hybrid of Lennon and Lemmy“ beschreibt. Dieser warme/ eindringliche/schneidende Bariton; das zerschredderte Raspeln; und dieses Brüllen, das Nervenenden aufsplisst in seiner nihilistischen Rückhaltlosigkeit, ein Kreischen wie ein Feuerstoß, alles einäschernd, kathartisch. Man wird Zeuge, wie Cobain diese Stimme findet in frühen Akustik-Demos von „Polly“ und „Clean Up Before She Comes“, wie anderes hier entnommen den Cassetten, die Cobain stapelweise aufnahm, allein zu Hause, ein manischer Daheimhocker-Frickler. Von hier kommen auch die letzten Tracks auf CD3, Heimdemos zu (dem hübschen, früh-Neil-Youngfolkpoppigen) „Do Re Mi“und „You Know You’re Right“, Cobains Stimme schmerzhaft brüchig, zerfranst, Erinnerungen an Nick Drakes letzte Aufnahmen weckend.

Dazwischen: Massen von Material, von interessant bis anrührend bis faszinierend bis genuin mitreißend. Da sind schepperige Liveaufnahmen von 1987, deren archäologischer Wert deutlich den künstlerischen übersteigt. Da ist die Session mit Leadbelly-Songs mit Screaming Tree Mark Pickerei vom Juli 19S9. Eine Kelleraufnahme von „Endless, Nameless“ für die „John Peel Show“, die in ihrer brachialen Wüstheit einiges über sowohl Nirvana als auch Peel sagt. Da sind Früh- und Demoversionen von alten Bekannten, noch mit anderen Texten/Titeln/Strukturen.

Ein besonderes Schatzkästlein für eingefleischtere Fans ist die das Set abrundende DVD. Ohne sich auf die bekannte MTV-generierte Nirvana-Ästherik zu stützen, sondern zusammengestellt aus großteils amateurgefilmten Live-Mitschnitten sowie recht privaten (non-voyeuristische) Einblicke gewährende Home-Video-Schnipseln (man beachte die Filme in den Zwischen-Menüs), liefert sie Bilder zu vielem, was man über Cobain gelesen hat. Dann der letzte Track. Nirvana 1993 in einem Studio in Rio, die Instrumente sind durchgetauscht, Cobain am Schlagzeug singt eine unironische Version von Jaques Breis/Terry Jacks‘ Hyperballade „Seasons In The Sun“. Und man kann es nicht schöner schreiben als Sylvie Simmons in ihrer Rezension in „Q“: „It will bring tears to your eyes. Or make you buy a guitar.“ So ist das.

www.nirvana-music.com