Patti Smith – Gone Again

Daß persönlicher Schmerz und private Schicksalsschläge oft genug Auslöser für große Kunst sind, dürfte unbestritten sein. Doch noch selten hat im gemeinhin als oberflächlich gescholtenen Pop-Business jemand sein Leid in derart bedrückende Poesie und berauschende Klänge gegossen wie Patti Smith auf GONE AGAIN. Die einstige Hohepriesterin des amerikanischen Punk, die sich ähnlich wie lohn Lennon jahrelang lieber der Familie als der Fangemeinde widmete, zelebriert hier ein Requiem für ihren Mann, den Ex-MCs-Gitarristen Fred „Sonic“ Smith, der im November 1994 starb, und für ihren Bruder, der nur wenig später einer Herzattacke erlag. Die beinahe durchgehend sakrale Atmosphäre erinnert – falls sich jemand so eine Mischung vorzustellen vermag – an Gustav Mahlers KINDERTOTENLIEDER, Nirvanas UNPLUGGED-Aufnahmen, die leise Wehmut eines Jaques-Brel-Chansons und die brennende Beat-Lyrik ihres eigenen Meisterwerks HORSES von 1975. Keine leichte Kost also, und ungefähr so fröhlich wie ein Friedhofsbesuch an einem trüben Novembertag, dabei aber weder resignierend noch sich selbst bemitleidend und damit für Trauer-Voyeure hörbar ungeeignet. Zumal Patti Smith bisweilen richtig heftig wird: Auf dem Titelstück, einem als griffigen Riff-Rocker getarnten Wutausbruch, klingt sie wie die verschollen geglaubte Schwester von Iggy Pop, auf ‚Summer Cannibals‘ singt sie mit der kontrollierten Exstase einer Schamanin, die den Hexensabbat eröffnet, bei der wunderbar lärmigen Zeitlupenversion von Dylans ‚Wicked Messenger‘ schreit sie sich ihren Schmerz von der Seele. Ansonsten herrscht Melancholie pur. Im knapp zehnminütigen ‚Fireflies‘ geistern ruhelose Gitarrenklänge durch eine karge Rhythmuslandschaft, über der ein bisweilen in Lautmalereien abkippender, an die dumpfen Klagelieder alter Indianerinnen erinnernder Gesang schwebt. Beim gleichfalls episch angelegten ‚About A Boy‘ formen sich Geräusche, die aus einem New Yorker U-Bahn-Schacht zu quellen scheinen, zu einem getragenen Klangbild, aus dem sich Gitarrenfäden lösen und Pattis Sprechgesang umgarnen. ‚Wing‘ wiederum ist eine vor lakonischer Intensität vibrierende Ballade von Einsamkeit und Verlorenheit, ‚Dead To The World‘ bietet düstere Folk-Fantasien, durch ‚My Madrigal‘ führt ein Gänsehaut-Cello, bei ‚Ravens‘ tönen Mandoline und Akkordeon. Lenny Kaye und lay Dee Daugherty, John Cale und Jeff Buckley, Tom Verlaine und Pattis Schwester Kimberley helfen bei der Trauerarbeit, und über allem liegt der Geist von Arthur Rimbaud, ]im Morrison und Allen Ginsberg. Letzterer hat einmal geschrieben: „Zünde eine Kerze an und tanze weiter.“ Genau das tut Patti Smith auf GONE AGAIN. Am Ende nimmt sie – mit dem ergreifenden ‚Farewell Reel‘ – Abschied von ihren Toten: „And I look up, and a rainbow appears like a smile from heaven.“ Mehr ist nicht zu sagen.