Planen oder treiben lassen?
„Wie man merkt, ob man sich zu viel oder zu wenig Gedanken um sein Leben macht“ – oder möglicherweise anfängt, das überhaupt zu tun. Es ist ein Kreuz mit der Zukunft: Seit mit der linearen Zeit (mit Anfang und Ende) die merkwürdige Idee eines real existierenden Übermorgen in die Welt kam, kennt der Mensch kein Halten mehr. Von der paradiesischen Erlösungsfantasie, die die Gegenwart ertragen helfen sollte, bis zum modernen Massenwahn, der überhaupt keine Gegenwart mehr kennt und nur noch fähig und fit für die Zukunft sein/werden möchte, tobt ein religiös-ideologisches Jahrtausendtheater, gegen dessen verheerende Wirkung die Atombombe ein Furz ist und dessen Sog sich offenbar niemand entziehen kann. Da mögen Hirnforschcr, Physiker und Philosophen mahnen, das Ganze sei ein Mumpitz und eine Zukunft gebe es selbstverständlich nicht „Ohne Wachstum keine Zukunft!“
brüllt der Wirtschaftsfaschist und wird erhört. Das Resultat: Unglück, Unzufriedenheit, Hektik, Stress, Einsamkeit, Zerrissenheit, Neurosen, Wahn und Komasuff. Sowie, freilich: alle möglichen „Lebensmodelle“, die nachleben kann, wer mag oder wem nichts besseres Eigenes oder überhaupt nichts einfällt. Michael Ebert und Timm Klotzek, Chefredakteure des in Sachen Zukunftswahn nicht gänzlich unschuldigen Jugendmagazins „Neon“, unterscheiden immerhin zwischen dem „Planer“ (der sich sein Leben strenggenommen sparen kann, weil er weiß, wic’s im besten Fall verläuft) und dem „Treibenlasser“ (der nicht nur beim Elfmeter, wo das wissenschaftlich erwiesen die bessere Vorgehensweise ist, stehen bleibt und wartet, was kommt) und deklinieren anhand dieser beiden Stereotypen das moderne Leben durch, vom Verhältnis zu den Eltern über Liebe (Internetdating oder auf den großen Zufall hoffen?), Geld, Ernährung, Ausbildung, Job, Versicherungen, Familiengründung bis hin zum Alterwerden, mit Beispielen, Selbstbefragungen, Interviews, Prominentenzitaten und einigem mehr – und natürlich ist viel, was in dem Buch steht, ein riesengroßer Blödsinn, der zur Selbsterkenntnis des Lesers schon deshalb nichts beitragen kann, weil er den Koordinaten des modernen Wahns strengst verhaftet bleibt. Aber eine gewisse, wenn auch überwiegend ziellose Bemühung ist den Autoren nicht abzusprechen, und während man sich durch öde Statistiken, flache Witzeleien, Banalitäten, Redundanzen und die trüben „Angebote“, die einem das Durchexisticren im Endkapitalismus zu machen hat, blättert, kann es durchaus passieren, dass man sich fragt, ob man das alles eigentlich insgesamt und überhaupt will und ob es da nicht noch was anderes geben könnte. So betrachtet: durchaus lesenswert.
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