Richard T. Bear – Capturned Alive

Der Herr Chefredakteur, wie stets besorgt um die Fundiertheit seiner Mitarbeiter-Rezensionen, hatte der Musterplatte einen sachdienlichen Spickzettel von beispielhafter Ausgewogenheit aufgepappt: „Richard T. Bear röhrt seit Wochen auf allen Medienkanälen, weil die RCA mal wieder einen Weltstar aus dem Pö zaubern will. Aber schlecht ist er ja nicht, auch wenn sein letztes Studioalbum nicht so berühmt war.“ Zitat Ende.

Herr Bear war für mich in der Tat akustisches Neuland, aber unter den Medienkanälen hatte ich auch schon gelitten. Besonders unter dem Kriegsgeschrei, das Altmeister Siegfried Schmidt-Joos in ungezählten Gazetten von Sounds bis Stern angestimmt hatte. Die frohe Kunde von der „Zukunft des Rock’n’Roll“ war da mal wieder zu vernehmen gewesen – und zwar soll diese Zukunft hier alles ringsum an „emotionaler Glut“ übertreffen. Nun habe ich noch keinem Vergleichsmusizieren zwischen den Herren Cocker, Springsteen. Seger, Meat Loaf und eben Richard T. Bear (alias Richard Gerstein) beiwohnen dürfen. Der röhrende New Yorker Nachwuchsgrizzly hat von allen etwas und kann/ darf in der Tat wohl jedem von ihnen den Whisky reichen. Aber mit diesem Vorschußlorbeer sollte man es denn auch bewenden lassen.

Zur Sache: R.T.B.’s Liverille ist im Juni dieses feuchten Jahres im Hamburger „Onkel Pö“ mitgeschnitten worden, und zwar – stellt man dessen quälende Enge in Rechnung in vorzüglicher Soundqualität. Begleitet von einer wahrlich exquisiten Sechsmannband (John Bolin, dr; Bob Kulick, g; Paul Glanz, cl, drg; Lou Cortelezzi, sax; Bob Gurland, tp sowie Mark Clarke, b) und zwei schier körperlosschwebenden colored-girls (Kathy Ingraham, Christine Faith) scheint Pianoman Bear angetreten, so etwas wie das letzte Rock’n’Roll-Gefecht vor dem Untergang des Musikkosmos zu absolvieren. Die Geschütze, die er dabei auffährt, haben schon abertausende von Auditorien zuvor zum Kochen gebracht und werden’s wohl noch genauso oft tun: er feuert eine Rhythm & Blues-Breitseite nach der anderen ab, proper gemixt aus rockender Rasanz und verzehrendem Feeling, aus banaler Anmache und straßenpoetischem Hintersinn. Zwei der sechs Titel (dazu gibt’s einen kanppen Piano-Boogie) stammen aus den Federn von Altbluesern wie Jimmy Oden(„Goin’Down Slow“) und Eric Clapton („Blues Power“). Auch der Rest ist von stockkonventioneller Machart, wenngleich ungeheuer vital interpretiert. Die erste Plattenseite ist eine absolut runde Sache, die zweite hat ein paar Längen.