Was in diesem Magazin vor einigen Monaten schon über AM PIANO I berichtet wurde, die erste CD aus dem Nachlaß des viel zu früh verstorbenen Rio Reiser, gilt vorbehaltlos auch für die Fortsetzung AM PIANO II. Sprich: Beide Tondokumente belegen, daß mit Reiser vor drei Jahren ein Ausnahmekünstler verlorengegangen ist – ein Sänger, beseelt und emotional treffsicher. Beweis für diese These ist allein die immense stilistische Bandbreite, die auf AM PIANO II zu finden ist: Coverversionen wie „Gimme Shelter“ (Rolling Stones), „This Boy“ (Beatles) oder „Too Shy“ (Kajagoogoo), aber auch noch skurrileres wie Marlene Dietrichs „Auf der Mundharmonika“ oder Judy Garlands „Somewhere OverThe Rainbow“. Natürlich finden wir unter den 21 Stücken in erster Linie von Rio Selbstkomponiertes, darunter Klassiker wie „Rauch-Haus-Song“, „Shit-Hit“, oder „Du bist es“. Sämtliche Versionen sind bislang unveröffentlicht, da es sich dabei – wie es der Albumtitel schon andeutet – um Aufnahmen handelt, die lediglich Rio mit Stimme und am Klavier präsentieren. Welche Ausdrucksmöglichkeiten Reiser hatte, auch wenn das Instrumentarium reduziert ist, wird hier trefflich dokumentiert: Albernes und Tieftrauriges, Lachen und Leiden, Chanson und Kinderlied, Blues und Agit-Pop und vieles mehr gehen hier blendend zusammen. Der Rezensent zieht respektvoll den Hut und läßt verstohlen ein paar Tränen den Lauf.