Sheer Mag

Need To Feel Your Love

Wilsun Records (VÖ:14.07.)

Mit dem Kopf in den Wolken eines, äh, besseren Schwanzrock- und Power-Pop-Gesterns. Mit den Füßen im Hier und Jetzt.

Sorry, aber ich bin Fan dieser Band. Mit einer Leidenschaft, wie ich es gefühlt seit 1980 nicht mehr war, als ich in meiner Kunstlederjacke mit Tigerkopf hintendrauf durch die Straßen meiner Kleinstadt streunerte und von der Outsiderei träumte (als, äh, Kiss-Fan). Was dieser Prä-Teenager-Schmus dem Realo-Review-Reader auf seiner Suche nach Konsum-Anleitung bringen soll? Nun, ich denke, dass ein Sinn für Sentimentalität und Nostalgie hilft, sich für Sheer Mag zu begeistern. Das spätgeborene Quintett aus Philadelphia jedenfalls hängt wie liebeskrank dieser Zeit nach, als die Stadionhaltung von fetteren Riffs noch nicht zwingend vorgeschrieben war, man bei „Licks“ nicht an Pornoseiten-Kategorien dachte und der Boogie einfach mitkam, auch wenn er nicht eigens eingeladen worden war.

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Was Sheer Mag dabei so besonders macht: Die Band hängt zwar mit ihren Köpfen in den 70s-Wolken und beherrscht selbst ein dermaßen endscool-oldschooliges Gelicke und Geriffe, das in jedem Gitarrengeschäft für Rudelbildung sorgen dürfte. Wohl nicht von ungefähr lassen sich darin fast schon Züge von Weltflucht erkennen. Denn mit den Füßen stehen Sheer Mag im unsentimentalen Jetzt eines Lebens, das aus miesen Erfahrungen mit Obrigkeiten und allgemein illiberalen Arschlöchern auf den wehrhaften Idealen eines lebendigen Punk-Ethos fußt. Song eins ihres (Independent!-)Debüt-Albums, „Meet Me In The Street“, ist deshalb eine waschechte Straßenkampfhymne. Allerdings mit einem Runaways-Riff, das zum Höhepunkt sogar zu einem Hawkwind-artigen Psych-Monster heruntergebremst wird. Der letzte Song „(Say Goodbye To) Sophie Scholl“ mag formal das Gegenteil sein, ein in seine eigenen singenden Gitarrenlinien verliebter Power-Pop-Ohrwurm. Aber er ist eben nicht weniger kämpferisch, ergriffen versucht Tina Halladay mit ihrem aus dem Hals gellenden Herzen (der Songtitel „Can’t Play It Cool“ sagt alles über sie) der Weißen Rose ein Denkmal zu setzen. Wer darin auch Sentimentalität zu erkennen meint, sollte vielleicht mal aus dem Fenster schauen.

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Zwischen diesen Polen weiten Sheer Mag ihren stilistischen Kosmos aus, verpassen nicht nur der Vorabsingle „Need To Feel Your Love“ einen echten Funkbass. „Until You Find The One“ bringt wiederum Country und die junge Straßenecken- Drossel Billy Bragg zusammen. Und dazwischen scheppert und hookt es immer weiter bis kurz vorm Glücksverrücktwerden. Man sieht sich schon liebpogen mit Truckern in AC/DC-T-Shirts, 16-jährigen Streetpunks, Bette-Midler-Lookalikes etc. und der großartigen Tina, die selbst verzweifelte Liebesschmerz-Songs zu Plädoyers für die freie, ehrliche Rede macht. „Cockrock“? Runter mit der  Männlichkeit!