Steely Dan – Gaucho

Noch immer hat Rockmusik zu tun mit Blut. Schweiß und Tränen, aber die Vorherrschaft dieser Gleichung ist ein für allemal vorüber. Die rasche und radikale Fortentwicklung der Elektronik in den Plattenstudios und der ständig voranschreitende Wissensstand der Musiker verändern grundlegend den künstlerischen Standort der Rockmusik. Diese Entwicklung vollzieht sich mal rascher, mal langsamer: durch scheinbar anachronistische Bewegungen wie den Punckrock wird sie allerdings eher beschleunigt denn gebremst, weil dann Irischer Wind die Studiotüftler vor saturierter Langeweile bewahrt und ihren Hochmut mit jeder Hitparadenplatzierung erschüttert. Der kurze Weg von den rüden Sex-Pistols zu den brillanten Talking Heads zeigt, wie rasch diesmal die Revolution ihre Kinder entlädt: wer den Synthesizer im Laden um die Ecke kauten kann, braucht ihn nicht mehr zu erfinden, sondern kann sofort damit arbeiten.

Ein Schlüsselproblem bleibt allerdings, was jede Art von Rockmusik als Essenz enthüllt. Primitiver Punk kann aussagestark und tiefgründig sein, höchste Perfektion im Studio steril und nichtssagend. Jene Bands, die in monatelanger, wenn nicht sogar jahrelanger Präzisionsarbeit das Niveau der Organisation von Tönen immer höherschrauben. müssen sich daran messen lassen, was sie an „Feeling“ oder „Vibrations“ versprühen höchst ungenaue Begriffe, aber jeder weil! und fühlt vermutlich, was gemeint ist. Fleetwood Mac haben auf „Rumours“ und in den besseren Stücken von „Tusk“ eine Magie und ein persönliches Flair in die Musik hineingelegt, die ungeschwächt aus den Lautsprechern des Endverbrauchers dringen, nach einer unglaublich langen Reiseder Siliziumkristalle und der elektromagnetischen Felder; mal modelliert, mal umgewandelt, mal gespeichert: auseinandergerissen in digitale Informationsbrocken und wiedervereinigt zu bizarren Klangströmen. Eine ähnliche Mehrdimensionalität kann man noch ein paar anderen Produktionsweltmeistern bescheinigen: den Pink Floyd, Stevie Wonder und vor allem Steely Dan. Hört das beherrschende Akkordmotiv von „Third World Man“, dem letzten Titel von GAUCHO, spürt, wie in euch irgendetwas warm die Wirbelsäule entlangrieselt, erkennt daran, daß diese in dreijähriger Klausur gereifte Syntese von Mensch und Maschine eine Seele hat.

Aufregend für mich ist bei dieser LP. dal! man durch die unglaublich komplexen und filigranen Klangschöpfungen immer wieder auf die Wurzelnder Rockmusik stößt, auf Blues, auf Kraft und Warmherzigkeit. Diese Wurzeln werden nicht durch den Spaten freigelegt, sondern durch ein Netz feinster Kanäle. Um im Bild zu bleiben: Steely Dan knüpfen an die Haarwurzeln an. ziehen dort heraus die Enegie für ihre Musik. Seit „AJA“ haben sie die dafür nötige Raffinesse nochmals gesteigert. wie sie ja seit 1972 mit jeder LP ein Stück vorangeschritten sind. „GAUCHO“ hat zudem einen kralligen Schuß Jazz mitbekommen, dokumentiert auch durch die Liste der Studiomusiker, zu denen die Breekcr Brothers. Larry Carlton. Joe Sample. Toni Scott, Steve (iadd und David Sanborn gehören. Und übrigens auch Mark Knopfler. Alles, was an Musik durch die Rockszene geistert, wurde unter dem Primat der Jazzlastigkeit auch „GAUCHO“ untergebracht so ineinander verwoben, daß man zum Heispiel den Reggae-Beat in „Babylon Sisters“ erst beim dritten oder vierten Hinhören eindeckt, trotz des offensichtlichen Songtitels. Genau wie“.A.IA“ läßl sich auch „GAUCHO“ nur durch eine lange Entdeckungsreise entziffern. Jörg Gülden, früher der Oberfan von Sleelv Dan. hat in der Zeitschrift „Sounds“ das sichte Album von Donald Lagen und Walter Becker als „Fahrstuhl-Berieselung“ abgetan. Mir scheint, die beiden haben das geahnt. Denn auf wen sonst könnte folgende Strophe von „GAUCHO“ gemünzt sein: „Lord I known you’re a special freind. But You refuse to understand. You’re a nasty schoolbov with no placc to go. Try again tomorrow .