Stevie Wonder – Innervisions
AIs ich die Scheibe aus der Verpackung pellte und sie erkannte, war’s um mich geschehen! Als einer der fanatischsten Fans von ‚Wonder‘-Stevie geriet ich natürlich völlig aus der Fassung. Fast fliegend eilte ich zum Plattenteller, die Nadel setzte auf und da war es: ein herrliches Piano, 2-stimmiger Gesang und ein ausgetüftelter Rhythmus, danach Stevie’s Stimme und kalt lief es mir den Rücken herab. Als ich sie schließlich 4397 mal gehört hatte, konnte ich erstmals wieder mit gelöster Zunge Sätze formulieren, die Umrisse des Zimmers wurden wieder klarer und ich war wieder auf dem Boden … Mit der LP ‚Music of my mind‘ begann sich Stevie vor ca. 2 Jahren mit stark veränderter Musik und teilweise anderen Ansichten vom Tamla-Motown-Sound zu entfernen und zu lösen. Es folgte ‚Talking Book‘ (ME 4/73) und nun ‚Innervisions‘. Inzwischen wird es kaum einen Kritiker geben, der sich nicht überschlägt, wenn er Stevie’s Namen nennt und dem dabei nicht das Wasser im Mund zusammenläuft. Stevie verschafft einem die schönsten Erlebnisse, die einem Musik noch bieten kann. Er ist zweifellos ein Genie! Meist spielt er in seinen Stücken alle Instrumente selbst, singt alle Parts und arrangiert sie glänzend. Sein Gefühl für feinnervige Melodien, ausgefeilte Arrangements und seltene Rhythmen breitet sich mit jeder Platte mehr aus. Es mag vielleicht daran liegen, daß ein Blinder jedes Geräusch und jeden Ton anders empfängt als wir ‚armen‘ Sehenden. Seine Texte handeln wie schon die der zwei Vorgänger von verflossener und neuer Liebe, vom Leben als Neger, Rassismus, dem ausgenutzt werden und von eindrücklichen Erlebnissen. ‚Innervisions‘ ist die reine Freude, Liebe und Anmut! Obwohl jedes seiner 3 letzten Alben ein Meisterstück darstellt und sie nur schwer zu trennen sind, finde ich ‚Talking Book‘ bisher unerreicht an Schönheit, Klang und Eindrücken. Das Cover von ‚Innervisions‘ wäre wohl eine Bemerkung wert – es ist eines der wenigen Stücke, die haargenau die Stimmung der Musik wiedergeben. Es gibt seltene Situationen, in denen man vor Glück zu zerspringen droht. Sollten sie jedoch einmal eintreten, legt Euch nieder und Stevie auf den Plattenteller. Berührt kurz später etwas eure Stirn, schaut nicht nach – es ist die Zimmerdecke!