Tanya Tagaq

Retribution

Six Shooter/Thirty Tigers/Alive

Der Kehlkopfgesang wird nicht allen westlichen Ohren gefallen. Auf das neue Album der kanadischen Inuk sollte man sich trotzdem einlassen.

Ihre Stimme haben schon viele gehört, ohne es zu wissen: Auf Björks 2004 erschienenem A-cappella-Album ­MEDÚLLA hat Tanya Tagaq, die aus einem arktischen Inuit-Dorf in Kanada stammt, einige der unzähligen Fasern im Klangteppich eingesungen. Wobei „singen“ eine Untertreibung ist: Tagaq atmet, stöhnt, ächzt, grunzt, schreit – kurz: Sie spielt ihren Körper wie ein Instrument. Wer diese Stimmakrobatik auf ­MEDÚLLA genießen kann, sollte sich Tagaqs nicht weniger ambitionierte Solowerke vornehmen.

Ihr viertes Album RETRIBUTION dreht sich um das Thema Vergewaltigung. Tagaq geht es dabei nicht nur um die Vergewaltigung von Frauen, sondern auch um Land, Kultur und Tradition. Als Inuk litt sie in ihrer Kindheit unter der Bildungspolitik Kanadas, die die Nachkommen von Ureinwohnern bis 1996 in spezielle Internate schickte, um sie von ihrer eigenen Kultur fernzuhalten.

So wartet am Ende dieses lauten, intensiven, brutalen Albums ein Cover von Nirvanas „Rape Me“: Schließlich besteht der Refrain aus der Zeile „I’m not the only one“. Tagaq, die sich schon seit Jahren für die Rechte von Inuit, First Nations und Métis in Kanada einsetzt, ist ein Sprachrohr für die Bewohner des Nordens geworden. Dass es ihr gelingt, ihre politische Botschaft schlüssig in Songs zu übertragen, ohne dabei pathetisch zu werden, macht RETRIBUTION zu einem großen Album.