Review

„The Killing of A Sacred Deer“-Kritik: Ein durch und durch verdorbenes Meisterwerk


Besonders makaber an dieser Rache-Farce ist, dass sie zur Zeit der Familienfilme ins Kino kommt. Denn „The Killing of A Sacred Deer“ ist an Zynismus und Hoffnungslosigkeit nicht zu überbieten.

Eine Warnung vorab: „The Killing of A Sacred Deer“ hat kein Happy End. In diesem Stück mit nur fünf wichtigen Figuren wird gestorben. Entweder wird es die kühle Anna (Nicole Kidman) sein, vielleicht aber auch eines der Kinder Kim (Raffey Cassidy) oder Bob (Sunny Suljic). Der Chirurg Steven (Colin Farrell) muss entscheiden, wer von ihnen sein Leben lassen muss, ansonsten verliert er seine gesamte Familie. Oder ist der Mord an dem mysteriösen Teenager Martin (Barry Keoghan) etwa der Ausweg aus dem Albtraum, den sich die Zuschauer hier ohne jegliche Hoffnung anschauen müssen? Fakt ist – und das stellt dieser verdorbene Film schnell klar – irgendjemand wird diesen Film nicht überleben. Und rein rechnerisch stehen die Chancen auf einen Kindsmord besonders hoch.

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Allerspätestens seit „The Lobster“ hat der Grieche Yorgos Lanthimos sich einen Luxus erarbeitet, von dem andere Regisseure ein Leben lang träumen. Er gilt als Indie-Weirdo, Brüche mit Konventionen und der Verzicht auf Logik und rationales Handeln werden ihm nicht angekreidet, sondern regelrecht abverlangt. In „The Lobster“ werden Menschen in Tiere umoperiert, wenn sie nach einer gewissen Zeit keinen Liebespartner finden – Lanthimos‘ Wahnsinn wurde gefeiert. Nun, im Nachfolger, hat er Martin erdacht. Einen abstoßend ausgeleuchteten Teenager, der sich in das Leben des Chirurgen Steven einschleicht, sich mit dessen Kindern anfreundet, dessen Frau Gastfreundschaft abnötigt, eine gesamte Familie emotional erpresst. Und der irgendwann die Bombe platzen lässt und zum Racheengel transzendiert.

Martin hat selbst keinen Vater mehr und offenbart dem von Colin Farrell überragend gespielten Steven, dass die Uhr tickt. Zuerst werden Stevens Frau und die Kinder nicht mehr laufen können, dann vergeht ihnen der Appetit. Weiter: Nachdem die Augen seiner Liebsten zu bluten beginnen, folgt der Tod. Der Fluch (?) kann nur gebrochen werden, indem Steven eines der drei zukünftigen Opfer tötet und dadurch den Rest rettet.

Martin schleicht sich bei einer fremden Familie ein.

Und so nimmt „The Killing of A Sacred Deer“ seinen Lauf, die Symptome setzen ein, die Hoffnung verfliegt, medizinische und logische Herangehensweisen an Martins Racheakt verpuffen. Und entfalten eine verstörende Wirkung. Lanthimos inszeniert seinen Racheengel Martin bzw. dessen Willen als unaufhaltsame Kraft, die Familie um Kidman und Farrell als eine puppenhafte Ansammlung von gestörten Persönlichkeiten, um die es einem auch nur bedingt leid tut. Hier gibt es keine Menschen, denen man die Daumen drückt, eigentlich gibt es überhaupt keine Menschen. „The Killing of A Sacred Deer“ erinnert in vielen Szenen an einen Wes-Anderson-Film, in dem Schauspieler Comic-Figuren imitieren, die nur Pointen dienen und immer geradeaus sprechen und handeln. Nur gibt sich Lanthimos bei diesem Meisterwerk wie der böse Zwilling Andersons („Grand Budapest Hotel“).

Vollnarkose als Vorspiel

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Als hätte der von Heath Ledger gespielte Joker aus „The Dark Knight“ ein Drama inszeniert, ist „The Killing of A Sacred Deer“ auf familiäres Chaos aus, zerstört mutwillig und schadenfroh die Leben der Figuren und den Glauben auf Auswege und Erlösung bei den Zuschauern. Das hat nach der Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes, wo es auch das beste Drehbuch für den Film gab, nicht jedem gefallen, aber das hat Lanthimos wohl einkalkuliert. Er hat hier einen Film gedreht, der so konsequent Hassenswertes zeigt, dass man allein dafür applaudieren möchte. Wenn die von Kidman und Farrell gespielten Eheleute ins Bett gehen, spielt sie eine Patientin in Vollnarkose, denn nur so wird ihr Mann noch scharf. Noch bizarrer ist der Humor, den Lanthimos den Szenen entlockt, in denen der kleine Bob nicht mehr laufen lernt. In amüsanter Trostlosigkeit schleift Farrell seinen Filmsohn dann über den Flur eines Krankenhauses.

Die alte Floskel vom „Lachen, das im Halse stecken bleibt“ greift hier bis zum Finale des Films. Und wird dann durch pures Entsetzen abgelöst. Doch egal, wie makaber dieser Film auch sein mag, der deutsche Verleih toppt selbst alles in „The Killing of A Sacred Deer“ gezeigte. Indem der Film nämlich am 28. Dezember, zur Zeit der Familienfilme in den Kinos anläuft.

Nicole Kidman und Colin Farrell.
Alamode
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