The Who – BBC Sessions
Ein Hoch auf die Gewerkschaft! Womit jetzt nicht DGB, ÖTV oder „Druck und Papier“ gemeint ist, sondern die britische“Musicians Union“. Die hatte nämlich nach dem Krieg durchgesetzt, dass im Radio wöchentlich nur 82 Stunden lang Konservenmusik gespielt werden durfte. Der Rest musste mit Live-Aufnahmen bestritten werden, was selbst minderbegabten Tonkünstlern regelmäßigen Broterwerb garantierte. Qualitativ konnte das nicht immer zur reinen Freude des hochverehrten Publikums ausfallen, denn wenn sich bezahlbare aber mäßige Sänger und ebensolche Tanzorchester mit Cover-Versionen aktueller Hits abmühten, geriet so manche Radioshow zum Laien-Forum: Dilettanten ole! Besserung kam mit dem Beat-Boom und seinem unerschöpflich scheinenden Vorrat an jungen, hungrigen Talenten, die sich auf der Suche nach ihrem persönlichen Brian Epstein den sprichwörtlichen Arsch abspielten. Die BBC, ursprünglich so wert- und strukturkonservativ wie das House Of Lords, musste sich auch eingedenk schwindender Hörerzahlen anpassen und dem obskuren Lärm langhaariger Jungmänner Sendezeit einräumen. Denn die Konkurrenz schlief nicht: Radio Luxemburg schickte Beat bis nach Britannien, und außerhalb der Dreimeilenzone gingen auf umfunktionierten Fischkuttern Piratenstationen wie „Radio London“ oder „Radio Caroline“ auf Sendung. Die BBC konterte mit dem „Saturday Club“, in dem – der Gewerkschaftsquote sei Dank – auch munter live musiziert wurde. Die Beatles spielten mit, die Stones, Kinks, Small Faces, Zombies und wie sie alle hießen. Und natürlich The Who. Die Aufnahmebedingungen konnte man selbst Mitte der 60er Jahre nur als Sub-Standard bezeichnen, Mono war bei der BBC noch State of the art, Overdubs oder sonstige nachträgliche Korrekturen fanden aus Kostengründen nicht statt. Dementsprechend rau und direkt klingt dann auch ein Teil der BBC SESSIONS von The Who, nämlich jener, der 1965/66 in den sendereigenen Studios entstand. Um so erstaunlicher, dass Pete Townshends Feedback-Eskapaden auf“Anyway, Anyhow, Anywhere“ keineswegs kastriert klingen, dass „Substitute“ mehr Druck und Tempo entwickelt als das Studio-Original und selbst die Version von LIVE AT LEEDS. Einzig Keith Moons Schlagzeug säuft bisweilen etwas ab – die braven BBC-Techniker fürchteten wohl um ihre teuren Mikrofone. Mit dem Olympics-Cover“Good Lovin'“, James Browns „Just You And Me, Darling“, „Dancing In The Street“ von Martha & The Vandellas, Eddie Hollands „Leaving Here“ sowie der Everly Brothers-Nummer „Man With Money“ enthalten die BBC SESSIONS Songs, die Mitte der 60er zum Live-Repertoire der Who zählten. Außerdem gibt’s zwei rare „Radio One“-Jingles auf die Ohren. Der Rest der insgesamt 26 Stücke ist eine gesunde Mischung aus LP-Tracks und Hit-Singles: „My Generation“ ist dabei, ebenso „l’m A Boy“; dazu gesellen sich eine leider etwas flaue Interpretation von „The Good’s Gone“, ein hörenswerter Take von „See My Way“, ein rhyhtmisch verändertes „Boris The Spider“ sowie eine Version von „Pictures Of Lily“, bei der Townshend an der Orgel steht. Auch die nahezu effektfreie Variante von „Disguises“ klingt reichlich originell, und bei „Run Run Run“ will Townshend all den Jimis, Erics und Jeffs zeigen, dass er als Gitarrist auch solistisch einen Tiger im Tank hat. Ab 1967 wird die Klangqualität besser, produzierte man doch einige Stereo-Tracks im De Lane Lea-Studio. Die Version von „A Quick One (While He’s Away)“ kann es mit der Aufnahme vom „Rock ’n‘ Roll Circus“ allerdings nicht aufnehmen – was weniger an der Soundqualität sondern an The Who liegt. Zwischen 1967 und 1970 klafft dann die Lücke: The Who hatten alle Hände voll mit TOMMY zu tun, mit dem sie ab 1969 durch die Konzertsäle dieser Welt tourten. Letztendlich hatten sie es auch kaum noch nötig, via Radioshow neue Käufer für die jeweils jüngste Single zu gewinnen, denn der Laden lief wie geschmiert und Rockhörer an der Grenze zum Erwachsensein kauften eher Alben denn 45er. Ganz ohne TOMMY kommen allerdings auch die BBC SESSIONS nicht aus, wie „l’m Free“ belegt, bevor mit einem Medley aus „Shakin’All Over“ und „Spoonful“ der Geist von LIVE AT LEEDS beschworen wird. Die jüngste Aufnahme stammt von 1973 und präsentiert den Single-Flop „Relay“ – für The Who nicht weiter schlimm, lieferten sie doch mit QUADROPHENIA noch im selben Jahr einen Kassenknüller. Die allererste Aufnahme, die The Who für die BBC absolvierten, ist leider nicht auf dem Album enthalten: „I Can’t Explain“ schien den BBC-Mannen seinerzeit nicht erhaltenswert, das Tape wurde barbarischerweise gelöscht. Für Who-Fans und alle lieben Freunde der Beat-Musik sind die BBC SESSIONS dennoch allererste Wahl, das Repertoire bietet Überraschungen, die Spielfreude der Band reicht von okay bis süperb und die Klangqualität ist in Anbetracht des Alters der Aufnahmen und der damaligen technischen Möglichkeiten absolut in Ordnung. Wer für ein paar echte Who-Raritäten auch schon mit dumpfer, verrauschter Bootleg-Oualität vorlieb nahm, wird von den BBC-Aufnahmen hellauf begeistert sein. Also nochmal: ein Hoch auf die Gewerkschaft!
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