Rick Wakeman – endlich erwacht!


Der Name Rick Wakeman stand bisher für Ausschweifungen in Kitsch und Prunk, Mammutaufgebote an Musikern und Statisten, die Wagner alle Ehre gemacht hätten. Rick Wakeman das war der Mann, der Tausende von Tasteninstrumenten zu bedienen schien und seine plumpe Statur mit Vorliebe mit funkelnden Umhängen dekorierte. Doch wer ihn jetzt auf seiner Tournee erlebte, sah weder aufwendige Requisiten und fand, daß Rick seinen Hang zur Melodramatik zumindest äußerlich über Bord geworfen hat. Frage: Muß er sparen, liegt es an seiner neuen Band, dem English Rock Ensemble, oder ist er endlich aufgewacht?

Rick Wakeman, der auf dem besten Wege war, sämtliche Kostenrahmen für ein Rock-Konzert zu sprengen und einen Aufwand betrieb, der fast einer Bibel-Verfilmung eines Cecil B. DeMilles gleichkam, hat sich sozusagen über Nacht ziemlich verändert. Seine jüngste Platte „No Earthly Connection“ spielte er mit ganzen sechs (!!) Musikern ein. Und für seine Europatournee verzichtete er sogar auf ein Orchester.

Die Wandlung

Auch äußerlich hat Rick sich verwandelt. Seine langen blonden Strähnen, die sein vom Bierkonsum aufgedunsenes Gesicht nicht gerade vorteilhaft zur Geltung brachten, hat er um die Hälfte gekürzt, und sein neues Cape ist relativ schlicht. Vermutlich hängt diese Verwandlung mit seinen neuen Musikern zusammen. Das English Rock Ensemble ist eine äußerst solide Gruppe, perfekt genug, die verzwicktesten Kompositionen und Textergüsse auch ohne orchestralen Aufwand zu realisieren.

Die Band

Im Mittelpunkt neben Rick steht hier Sänger Ashley Holi der auch die schwierigsten Passagen zu packen bekommt. Während Gitarrist John Dunsderville nicht sonderlich viel zu tun hat, legt die Rhythmusgruppe (Rogei Newell am Bass und Drummer Tony Fernandez) ganz schön los. Martyn Shield und Reg Brook beherrschen sämtliche Blechblas Instrumente. Die Stimmung, innerhalb der Gruppe schien hervorragend zu sein. Rick, gesteht auch ganz offen, daß er wohl wieder zum enormen Orchester-Aufwand gegriffen hätte, wären ihm nicht diese fähigen Musiker über den Weg gelaufen.

Das Thema

Seiner Vorliebe für bombastische Themen ist Rick allerdings treu geblieben. Nach den sechs Frauen Heinrichs VIII., der Reise zum Mittelpunkt der Erde oder den Rittersagen um König Arthurs Tafelrunde hat ihm jetzt der Verlust der Seele angetan. Es geht allerdings um den Verlust der ,.musikalischen Seele“. Die Hauptfigur, deren seelische Rundreise in Ricks neuestem Produkt „No Earthly Connection“ geschildert wird, ist zwar fiktiv angelegt, enthält jedoch – wie Rick gesteht – viel Autobiografisches: Jene Figur lebt so vor sich hin, trifft diesen und jenen, wird „gewarnt“, wird sich aber zu spät ihrer „musikalischen Seele“ bewußt und stirbt, ohne sie je genutzt zu haben“. Auf Wakeman übertragen, ist dieses Thema mehrere Theorien zu. Eine davon könnte lauten, daß er mit seiner Vorliebe für das Spektakuläre auf dem falschen Trip gelandet war und noch rechtzeitig aufgewacht ist…, aber seine „Botschaft“ lautet so: „Wer die „musical soul“ verliert, muß in Raum und Zeit herumirren. Die Seele jedoch überträgt; sich auf einen anderen, und daraus entsteht ein ewiger Kreis… Soweit Wakeman’s philosophisches Handbuch. Band 1.

Unergründliche Tiefen

Ursprünglich hatte Rick vor, sein musikalisches Epos den Göttern der Mythologie zu widmen. Dann wurde er aber von den unerklärlichen Dingen wie Stonehenge, den Pyramiden den von Däniken entdeckten Höhlenzeichnungen oder den Osterinsel-Figuren derart fasziniert. Er beschäftigte sich mit den unergründlichen Tiefen des Ozeans, wo noch irgendwelche Untiere auf uns lauern könnten, mit fliegenden Untertassen und mit der Seelenwanderung. Das alles lieferte den Hintergrund für die neue Plattenproduktion. Wer in den Texten vergeblich nach einer konkreten Beziehung sucht, wird von Rick mit der verschwommenen Erklärung: „Man muß an solche Dinge glauben, um zu verstehen, was ich sagen will“, abgespeist. Aber so einfach wird er bei einigen Kritikern nicht davonkommen.

Neuer Erdkontakt

Musikalisch gesehen ist Rick auf die Erde zurückgekehrt. Trotz des LP-Titels „No Earthly Connection“ (kein Kontakt zur Erde) steht er zur Zeit mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Die schwindelerregenden Ausgaben für diverse Showspektakel und die damit verbundene organisatorische Arbeit sowie ein leichter Herzanfall im vergangenen Jahr waren wahrscheinlich ausschlaggebend. Und nicht zu vergessen die Begleitgruppe, die ihn wohl in jeder Hinsicht befriedigend unterstützt.

Neue Pläne

Kurz vor dem Abschluß seiner Tournee bereitet sich der arbeitswütige Musiker schon wieder auf neue Aufgaben vor. Zunächst plant er eine Live-LP mit Titeln seiner bislang vier eigenen Produkte (Ohne „Lisztomania“). Dann ist ein weiteres Studio-Werk in Planung, eine Art Fortsetzung von „No Earthly Connection“ mit anderen Mitteln. Mal sehen wie diese anderen Mittel ausfallen: ob er sich weiter auf die Besetzung seiner Gruppe verläßt oder wieder einen Rückfall ins Bombastische erleidet.

Lisztomania

Im Mai lief in unseren Kinos die Ken Russell-Produktion „Lisztomania“ mit Who-Sänger Roger Daltrey in der Hauptrolle an. Die Musik „schrieb“ Rick Wakeman. „Assisted by Franz Liszt“, wie der verdrehte Regiesseur Ken Russell im Nachspann verlauten ließ. In diesem überkandidelten Streifen wurde ein derart überzeichneter Aufwand getrieben, der Ricks Herz wahrscheinlich höher schlagen ließ. Sogar eine kleine, aber eindrucksvolle Rolle gab es hier für ihn: ein vom Nazi-Geist besessenen Wagner nach Frankenstein-Muster geschaffenes Wesen, das sich mit einem Maß Bier rülpsend durch die Gegend bewegt und einen Spiegel anpinkelt.

Biggs und Beckenbauer

Daß Rick kürzlich mit dem letzten in Freiheit lebenden englischen Posträuber, Ronald Biggs, in Südamerika T-Shirts tauschte, wurde ja schon hinlänglich in der Presse berichtet. Rick ist nun Besitzer des Hemdes, das Biggs angeblich beim Postraub trug, während er sein Hochzeits T-Shirt dafür eintauschte. Sofort wird spekuliert, ob Rick jetzt einige Details über den Postraub erfuhr, von denen bisher noch niemand etwas ahnt, und die vielleicht mal das Thema für eine Wakeman-Produktion liefern – philosophisch verschlüsselt natürlich!

Als begeisterter Fußball-Narr traf sich Rick Wakeman in München mit Franz Beckenbauer. Daß Beckenbauer demnächst mit reich besticktem Umhang auf dem Spielfeld erscheint, ist allerdings nur ein Gerücht. Und da jeder die Olympischen Winterspiele in Innsbruck längst vergessen hat, hier noch eine kurze Erinnerung: Wakeman schrieb die Musik für den offiziellen Olympiafilm, der in Innsbruck gedreht wurde.

Wie man sieht, ist Rick Wakeman gut im Geschäft. Der Besitzer von elf Firmen und acht Rolls Royce-Modellen hat seinen Höhenflug noch rechtzeitig vor dem Bankrott eingestellt.