Rock ’n‘ Roll Party


Garbage ohne Butch Vig? Das ist ja wie Simon & Garfunkel ohne Simon oder wie AC/DC ohne AC. Aber es funktioniert.

Das ist ein richtiger „Medienevent“ heute Abend. Alle sind nach Hamburg gekommen: Sehr, wenige und überhaupt nicht wichtige Menschen aus der Musikbranche treten sich im VIP-Bereich der „Großen Freiheit“ gegenseitig auf die Füße. Nur Butch Vig ist nicht da. Er kann nicht. Er ist krank. Der Schlagzeuger und heimliche Chef von Garbage liegt mit Hepatitis A zuhause in Madison, Wisconsin, im Bett. Seit ein paar Wochen schon. Carbage sind trotzdem gekommen. Sie wollen ja schließlich ihre Fans nicht enttäuschen und haben die Europatournee nicht abgesagt. Stattdessen haben sie Matt Chamberlain mitgebracht. Der hat nicht nur auf dem jüngsten Garbage-Album „Beautiful Garbage“ein bisschen Schlagzeug gespielt, sondern auch auf diversen Platten von Tori Amos, Fiona Apple, Stone Cossard, Dave Navarro, Macy Gray und, na ja, Elton John. Eine Koryphäe auf seinem Gebiet, Chamberlain, nicht Elton John. Und in der Tat, an diesem Abend in der „Großen Freiheit“ in Hamburg fehlt Buten Vig nicht wirklich. Chamberlain sitzt hinter seinem Schlagzeug mit Kopfhörern (wie Vig), rackert wie ein Maschinist (wie Vig) und sieht auch so ähnlich aus wie Vig – aus der Ferne zumindest. Da fehlt erst mal gar nichts. Shirley Manson fehlt schon was. Die roten Haare zum Beispiel. Shirley ist erblondet und sieht jetzt aus wie eine Mischung aus Billy Idol und Charlie Chaplin.

Idol sitzt in den Haaren und Chaplin in den langen schwarzen Hosen, dem weißen engen Top und den Hosenträgern. Was Manson sonst noch fehlt, ist das Timing. Beim ersten Song „Push It“ verpatzt sie einen Einsatz, befindet sich insgesamt stimmlich nur auf halber Höhe und braucht noch fünf, sechs weitere Stücke, bis alles wieder einigermaßen gut ist.

Dem Publikum scheint das vorerst vollkommen egal zu sein. Jeder Song, ganz gleich ob nur so halb gelungen oder perfekt interpretiert, wird mit frenetischem Jubel quittiert, was wiederum auf die Band abfärbt. Shirley Manson erzählt zwar zwischen den Songs, dass sie „furchtbar nervös“ sei, weil die Band vor ihrer Europatournee zwei Jahre lang nicht mehr live gespielt habe, sie wirkt aber wie ein Teenager, dem man gerade ein Date mit Britney Spears in Aussicht gestellt hat. Sie kichert, freut sich wie Bolle und redet zwischen den Songs wie ein Wasserfall. So erfährt das Publikum, weshalb Butch Vig heute Abend nicht hier sein kann, was Manson mittlerweile ziemlich egal zu sein scheint. „Ihr habt ja uns“, sagt sie und lobt zum hundertsten Mal den „amazing Matt Chamberlain“. Sie reagiert auf Zwischenrufe („Fuckyou! We won’t play that song. We’re here to please ourselves“, „I have the microphone, I’m the one who talks“), wirbelt über die Bühne wie ein Derwisch, posed für die Fotografen, fasst sich mit dem Michael-Jackson-Griff zwischen die Beine und kommt mit ihrem Unterleib mehrmals dem Kopf eines Security-Mannes, der im Fotografengraben steht, gefährlich nahe.

Das Ist nicht nur ganz nach dem Geschmack des Publikums, sondern gefällt auch Duke Erikson und Steve Marker ganz gut. Wenn alle auf die Frontfrau achten, können die beiden wenigstens in Ruhe Musik machen. Die alten Mucker sind nämlich schüchtern. Erikson bietet zumindest annähernd etwas, was die Bezeichnung „Show“ verdient, wenn er sich ganz cool als Mischung aus Keith Richards und Neil Young inszeniert. Marker dagegen wirkt unfreiwillig komisch, wie er mit seinem massigen Körper über die Bühne stapft.

Dia Band spielt ein Greatest-Hits-Programm aus ihren drei Alben: „Supervixen“, „Stupid Girl“, „Milk“, „I Think I’m Paranoid“, „Androgyny“, „Cherry Lips“. Alles kommt eine Spur rockiger, und selbst schwächere Stücke von „Beautiful Garbage“ wie „Silence Is Golden“ entfachen auf der Bühne eine besondere Dynamik. Vielleicht liegt das ja an Hamburg. Die Stadt, besonders die „Große Freiheit“, ist bisher immer gut zu Shirley Manson gewesen. An diesem Ort hatte sie ihren ersten Auftritt mit ihrer früheren Band Goodbye Mr. MacKenzie. Das war vor „vielen, vielen Jahren“, erzählt sie. Das war ihre erste große Rockshow, und da war sie stolz wie Oskar.

Wir wissen nicht, was Oskar über Garbage denkt, aber es soll ja durchaus Leute geben, die der Ansicht sind, Garbage sei eine Band für 35-jährige Bankangestellte, die sich noch einmal richtig jungfühlen wollen. Mag ja sein, mag ja sein. Aber im Gegensatz zu manch anderen Musikern aus ihrer Generation, die sich sauertöpfisch im Selbstmitleid suhlen, passiert bei Garbage wenigstens was auf der Bühne. Wenn die Band das Haus rockt, ist das ganz großes Kino. That’s Entertainment oder der gesunde Mittelweg zwischen halbwegs anspruchsvoller Popmusik und einem Hauch von Las Vegas. Rock ’n‘ Roll und Party. Rock ’n‘ Roll-Party.

Wem das alles sowieso egal ist, für den gibt’s Gott sei Dank den VIP-Bereich oben in der „Großen Freiheit“. Dort treten sich sehr, weniger und überhaupt nicht wichtige Menschen bei Sushi und Heineken gegenseitig auf die Füße. Denn schließlich ist das hier ja ein „Medienevent“. Und für manche Teilnehmer ist das Büffet wichtiger als die Band auf der Bühne. So ist das nun mal bei „Medienevents“. Und Peter „Rockpalast“ Rüchel ist auch da.

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