Roger Waters: Das Mauerblümchen


Das Mauer-Spektakel auf dem Potsdamer Platz in Berlin ist vorbei. Doch mit sei- ner Mammutshow erntete Roger Waters nicht bloß Lob und Anerkennung. Was hat er sich eigentlich dabei gedacht?

Die Idee, „The Wall“ an der Berliner Mauer aufzuführen, kam Roger Waters im September 1988: „Ein amerikanischer Journalist fragte mich, ob ich jemals wieder ,The Wall‘ aufführen würde, und ich sagte ihm, dafür gäbe es nur einen Platz: Berlin, wenn die Mauer fällt. Nach den Ereignissen im November 1989 stand ich im Wort!“

Waters flog noch im gleichen Monat nach Berlin, wanderte an der Mauer entlang, suchte nach einem geeigneten Platz: „Es ist schade, daß die Graffiti von Souvenirjägern zerstört wurden“, klagt er heute, „denn das war großartige Kunst, erinnerte mich ein bißchen an die 60er Jahre.“

Auf die Styropormauer projiziert, konnten auf dem Potsdamer Platz Anwesende und Fernsehzuschauer solche Graffiti am 21. Juli bestaunen. Und manche staunten auch nicht schlecht über die reichsparteitagsmäßige Fascho-Szene unter dem Riesenschwein, das auch jenes, entfernt an das Hakenkreuz erinnernde, Phantasiezeichen auf der Plastikschwarte trug. Solcherlei schwer verdauliche Symbolik hatte Pink Floyd schon bei den „Wall“-Shows 1981 einen, wenn auch unberechtigten, Faschismus-Vorwurf eingetragen.

Roger Waters, des braunen Gedankengutes unverdächtig, will’s als Symbol gegen Tyrannei verstanden wissen: „Ich wollte, daß Soldaten unterschiedlicher Ideologien auf der Bühne gemeinsam ein Stück Musiktheater schaffen, das das Bemühen von Leonard Cheshire und dem Memorial Fund widerspiegelt.“

Cheshire, einst höchstdekorierter Starflieger der britischen Royal Airforce und pikanterweise bei der Bombardierung jenes Potsdamer Platzes dabei, hat nach einem grundlegenden Sinneswandel 270 Heime für Behinderte in fast 50 Ländern eingerichtet und sein Leben in den Dienst der Humanität gestellt. Er war es letztlich auch, der Roger Waters zur Mammutschau überredete: „Ich war erst skeptisch“, so Waters, „aber Leonard Cheshire hat mich beeindruckt. Wenn man Menschen trifft, die völlig selbstlos sind und ihr Leben anderen widmen, und wenn man nur einen Funken Menschlichkeit in sich verspürt, dann kann man kaum nein sagen.“

Ebenso beeindruckte ihn die friedliche Revolution der Ostdeutschen. „Ich ziehe meinen Hut vor den Menschen im Osten, die das geschafft haben. Das ist ein Sieg der menschlichen Vernunft. Daraus möchte ich keine Siegesfeier des Kapitalismus über den Kommunismus, des Westens über den Osten, machen. Ich wollte den Sieg des einzelnen über die Bürokratie feiern.“

Die in seiner englischen Heimat häufig aufkeimenden Ängste vor einem wiedervereinigten Deutschland teilt er nicht: „Denn es wird keinen Hitler mehr geben, schon dank der Informationsmöglichkeiten. Nein, ich habe kein schlechtes Gefühl bei dem Gedanken an ein wiedervereinigtes Deutschland.“

Die private Wiedervereinigung, nämlich die zwischen Pink Floyd, liegt allerdings in weiter Ferne – zu groß ist der Graben zwischen ihm und dem einstigen Schulfreund David Gilmour geworden: „Mir ist völlig klar, daß Dave einiges zu ‚The Wall‘ beigesteuert hat. Aber da er sich so wenig um die Gefühle schert, die damit transportiert werden sollen, war es mir unmöglich, ihn einzuladen. Erspielt draußen in den Stadien meine Stücke im völligen Gegensatz zu meinen Emotionen, Ideen und meiner Philosophie, und zwar um dran zu verdienen.

Wenig erfreut war er wohl auch über den immensen Erfolg der von ihm 1987 verlassenen Rumpftruppe mit A MOMENTARY LAPSE OF REASON (1987) und der darauffolgenden Tournee, mit der sich Gilmour & Co. zumindest kommerziell zu den legitimen Erben der einstigen Gemeinschaft mauserten, während Waters selbst mit seinem Solo-Album RADIO K.A.O.S. allenfalls Achtungserfolge einheimsen konnte. Auch nach dem „Wall“-Spektakel steht Waters mit dem Rücken an der Wand, denn die unübersehbaren künstlerischen und technischen Probleme werden ihm noch ganz schön zu schaffen machen. „Er ist direkt von der Show ins Studio gefahren, teilte das Waters-Management mit, „denn er hat nur wenig Zeit, um an dem Live-Doppelalbum zu arbeiten, das noch im August erscheinen soll.“

Die Zeit wird er auch brauchen, denn da wird so mancher Vokalpart (vor allem sein eigener!) neu gesungen werden müssen, so mancher Song völlig neu eingespielt werden. So ließ sich Waters nur zu folgendem After-Show-Statement hinreißen, welches er kurz und bündig faxte: „Ich bin absolut überwältigt vom Zuspruch, und ich freue mich für Leonard Cheshire.“

Hinter den Kulissen gabs dann allerdings doch noch Stunk: Während die Stars im VIP-Zelt feierten, begehrten 50 Statisten wütend Einlaß. Man hatte ihnen – zusätzlich zum mageren Lohn von 100 Mark – versprochen, nach dem Konzert die Stars kennenlernen zu können. Statt dessen wurden sie von Ordnern, angeblich Skinheads aus Köln, hinausgepriigelt. Ein erboster Mitarbeiter brachte den Unmut auf den Punkt: „Zwei Stunden anstehen für Essensmarken, eine Dose Cola und zwei Brötchen pro Tag für zwölf Stunden Arbeit – alles haben wir hingenommen, weil wir dachten: Zum Schluß können wir mit den Stars ein Bier trinken. Und dann das.“