Rory Gallagher


,,God loves the Irish", spendete Impressario Fritz Rau spontan Beifall, als Rory Gallagher kürzlich das Festivalgelände in Saarbrücken betrat und just in diesem Moment sich die Sonne am wolkenverhangenen Sommerhimmel zeigte. Rory, sympathischer Held von Himmel und Erde, seit jeher Garant für qualitativ hochkarätige Konzerte und musikalische Konstanz. Ohne modische Trends und technischen Firlefanz wird der bescheidene Ire zusammen mit seinen Musikern Gerry Mc-Avoy (bs) und Ted Mc-Kenna (dr) wohl auch auf der am 24. September angelaufenen Herbsttour überzeugen. Detlef Kinsler begegnete Rory schon vorher im Studio Dierks bei der Erstvorstellung der LP 'Top Priority' (siehe ME 9/79). Und er traf ihn zum Interview in Saarbrücken. Mit erhobenem Zeigefinger und dem Anflug eines Grinsens im Gesicht erbat sich Gallagher: "Aber nicht wieder schreiben, ich sei ein irischer Trunkenbold." Sprachs und griff zu 'ner Dose saarländischer Hausmarke. Wenn kein Guiness greifbar ist...

Gallaghers Plattenfirma spricht angesichts der neuen Band und der beiden letzten Scheiben von drastischem, musikalischen Veränderungen. Wie steht Rory dazu? „Klar, ist doch natürlich“, gibt er sich verständnisvoll; wohl wissend, daß es schwierig ist, seine nicht gerade marktgerechte Person Jahr für Jahr neu anzupreisen. „Die müssen das als Fortschritt werten, was ich mache. Und das ist’s ja auch, nur eben nicht wie bei Bowie mit ’nem brandneuen stage act, anderem Gesicht, anderem Haarschnitt. Ich bin immer noch der gleiche Mann wie vor sechs Jahren, der die Musik spielt, die er liebt.“

Nennen wir die Veränderung also slight changes. Damit trifft man eher ins Schwarze. Waren die beiden letzten Alben im Quartett noch reine Blues-Rock-Fusionen (‚Against the Grain‘) bzw. Kompositionen mit Swing-Charakter und jazzig angehauchten Improvisationen (‚Calling Card‘), so läßt Rory im Trio wieder mehr die Wutz ‚raus. Energiegeladen ist der mäßigste Ausdruck, der für Thoto Finish‘ bedingt, für Top Priority‘ aber einhundertprozentig paßt. Originalton Gallagher: „Es ist Rock’n’Roll, hart aber bluesgefärbt, rhythmisch und aggressiv. Es ist, als ob man ein Streichholz anzündet. W-u-u-u-tsch! Dynamit! So will ich’s haben. Egal, wie man’s nennt.“

Rory’s Wurzeln, internationaler roots genannt, liegen im Rock’n’Roll und Blues. „Das ist mein neues Blut“, läßt er keinen Zweifel aufkommen; denn sein eigentliches Blut ist trotz allem und vor allem irisches. Nur: mit irischer Musik assoziiert man schlechthin irische Folk-Musik, personifiziert man z.B. die Dubliners. Wie stark ist Rory mit dem Folk verwachsen? „Ein Teil meines Temperaments ist das eines Folk-Musikers. Aber nicht in erster Linie.“ Klar: Thin Lizzy im Hard-Rock-Bereich wie die Folk-Rocker von Horslips klingen da weit irischer. Rory weiß warum: „Die machen ganz bewußt Leihgaben in der irischen Musikvergangenheit. Ich tue’s nicht! Ich mag keine jigs’n‘ reels spielen, nicht mal im Rock ’n‘ Roll-Gewande.“ Also fühlt sich Rory Gallagher nicht als musikalischer Botschafter seines Heimatlandes? Doch schon, sagt er, aber eben nicht im Stile der Dubliners oder von Planxty. „Ich bin kein Botschafter der irischen Musik. Ich bin ein irischer Musiker, der mit seinen Gefühlen sein Land repräsentiert.“

Seine tourfreie Zeit verbringt Rory natürlich auf der Grünen Insel. Auch tourt er dort einmal im Jahr. Ist’s eigentlich schwerer, zuhause vor heimischem Publikum zu spielen? „Es lastet schon ein zusätzlicher Druck auf mir, aber nicht, daß es echt belastend wirkt.“ Courage zeigte Rory bekanntlich anno 74, als er allen Warnungen von Freunden und dem Bürgerkrieg zum Trotz – in Belfast spielte; zu einer Zeit, wo an jeder Ecke Bomben hochgingen, die Bürger in Unruhe und Angst leben mußten. Viele werteten Rory’s Entscheidung damals als politischen Akt. Rory winkt ab. ,,Es war mehr ein unpolitischer Akt. Ich habe meine eigene, politische Meinung über Irland, ok. Ich fühlte aber vor allem als Musiker meine Pflicht, meinen Job zu erfüllen und für Leute zu spielen, auch oben im Norden. Ich komme aus dem Süden der Insel, aber ich bin Ire und ich denke an Irland als Einheit. Das ist meine politische Einstellung. Du hast Belfast erwähnt. Mein Job ist’s, Musiker zu sein. Und ich bin glücklich, für Protestanten, Katholiken, für jeden zu spielen. Ich bin Musiker und will ihnen eine gute Nacht bringen. In Irland ist’s halt etwas schwieriger, besonders damals. Alle sagten, spiel nicht da. Die schießen dich ab! Ich aber hatte die Entscheidung zu fällen. Ich spielte in Dublin und Cork in der Republik. Well, dann eben auch in Belfast!“ Und gab’s Ärger? „Nein, nein, nein“, wehrt Rory ab. „Es gab Verhandlungen zwischen den Promotern und den radikalen Gruppen. Die sagten: „Wir haben nichts gegen Rory.

der macht seinen Job, der spielt für unsere Leute‘. Aber ich bin kein Politiker oder Radikaler. Radikal war nur die Entscheidung: Ok, scheiß drauf, wir machen’s jetzt. Einige würden heute sagen, es war das gleiche, wie jetzt in Teheran zu spielen. Aber ich hab‘ da früher auch schon gespielt, warum sollte ich also damit aufhören? Es war vor allem ein persönliches Statement: ‚Ich habe euch nicht vergessen‘, sollte es sagen.“

Konsequenterweise fehlen politische Stellungnahmen auch in Rory’s Texten. So persönlich seine Musik klingt, so wenig kommt man dennoch über die Lyrics an seine Persönlichkeit heran. Er will nicht seine ganzen Erfahrungen breittreten. „Das überlasse ich Leonard Cohen“, sagt er lakonisch. So reimt er stattdessen Gangstergeschichten und läßt Al Capone und Dillinger auftreten. „Ich mag diese Stories“; er bringt Sympathie für Gangster auf, zumindest für die klassischen. ,,Ich schreibe Lieder, die für mich gut sind. Und für ihn oder dich. Jeder könnte sie aufnehmen.“

Sympathie hat er auch, man kann es stellenweise auf ‚Top Priority‘ hören, für das, was man in den Medien gemeinhin als Punk bzw. New Wave kategorisiert. Rory: „Was ich mag, ist diese nervöse Energie. Ich mag das mehr als alles Kalkulierte: wir müssen den Gig dort spielen, mit 1.000 Marshalls oder so. Punk, das bedeutet für mich bei einem Minimum an Equipment ein Maximum an Power, Aggressivität. Aber was ist schon Punk, New Wave? Elvis Costello? Ich kauf seine Platten. Die Sex Pistols? Blondie ist ein Pop-Act. Die Buzcocks sind Rock’n’Roller. Es gibt also nicht den wirklichen Punk-Act. Ist ein Presseausdruck. Wirklicher Punk ist Gene Vincent, Iggy und die Stooges, die Doors teilweise. Es ist keine Frage des Spiels, sondern der Stellungnahme, des Inhalts. Chuck Berry ist Punk, obwohl er Kapitalist ist, ein gentleman. Aber seine Performance…“

Für viele ist Punk ein britisches Produkt. Gallagher läßt solche nationalen Einschränkungen nicht gelten. In keinem Bereich. „Ich mag Rock’n‘ Roll nicht mit einem englischen oder amerikanischen Akzent. Für mich gibt es nur universale Musik. Musik ist eine Lebensform, ein Lebensgefühl.“