Sarah Kuttner – die Kolumne


Letztens bin ich beim Fernsehen rausgeflogen. Achtkantig, wie man so schön sagt. Erst flog ich. Dann ging die Tür noch mal auf, und jemand warf mir noch mein Tamburin aus einer älteren Kolumne hinterher. Da saß ich nun im Schnee und dachte nach. Eigentlich, dachte ich, ist das Fernsehen sowieso nicht für mich geeignet. Es macht dick. Das weiß ich, seit ich kürzlich auf einem Empfang Ottfried Fischer traf, einen im privaten Leben eher spindeldürr daherkommenden Hungerhaken. Er wird schlichtweg von technisch unzureichenden Kameras, die seinen baumhohen, sich kerzenartig in den Himmel schraubenden Körper nicht abzufilmen in der Lage sind, unvorteilhaft zusammengestanzt. Egal.

Danach sinnierte ich über eine Frage, die mir Journalisten in letzter Zeit dauernd stellen: Was ist eigentlich das Problem am (Musik-) Fernsehen? Was ist falsch? Und wer ist schuld? An jenem frostigen Tag kam mir die Antwort: Das Fernsehen krankt an demselben Missstand wie die bundesdeutsche Ernährung. Ich will das kurz ausführen – wir haben doch die Zeit, oder? [Ich schaue an dieser Stelle fragend über meine Lesebrille hinüber zu Albert Koch. Gut, dann los.] Die richtige Ernährungspyramide funktioniert wie folgt: Unten, im breiten Teil, tummelt sich ganz viel Gemüse, Ballaststoffreiches und Vitaminspendendes. Davon muss viel gegessen werden, weshalb es sich dabei ja auch um den breiten Teil der Pyramide handelt, auf dem sich fundamentartig alles gründet. Je weiter es nach oben geht, desto ungesünder werden die Lebensmittel. Ganz oben, da wo die Pyramide keilartig spitz wird, finden sich Dinge wie doppeltkrokantige Chunk-Marshmallow-Riegel u.ä. Denn: dann und wann einen solchen zu genießen, ist ja erlaubt. Schließlich steht unten der breite Gemüse- und Ballaststoffsockel. Aber eben nur dann und wann. Genau so ist es mit dem Fernsehen: Eine stabile TV-Pyramide müsste unten lauter untertitelte Dokumentationen über Menschenrechtsverletzungen im Sudan haben. Etwas mittiger ein paar preisgekrönte französische Kinofilme, anregende Magazine und die eine oder andere hübsche Personalityshow, in der gelegentlich schwedische Indiemusikanten ihre Instrumente schwenken dürfen. Und oben an der Spitze dürfte somit ruhig auch eine bekloppte menschenverachtende Castingshow blitzen, in welcher der bullige Tanzbootcampleiter seine polierte Birne in die Kamera halten dürfte. TV-Blödsinn, dann und wann und in Dosen genossen, erdet und verzuckert den Abend, so wie eine ungesunde Süßigkeit dann und wann die Launelatte zum Erigieren bringt. Dummerweise ist es aber andersrum: Die TV-Pyramide ist unten satt und breit auf Mumpitz gegründet, auf massivem, unerschütterlichem Blödsinn, der jede Volksgesundheit gen Pflegeheim schubst. Das Fundament besteht aus Mist, und nur gelegentlich leuchtet oben dünn ein Lämpchen der Wahrheit. Demnach bedeutet dies; TV-Macher sind letztlich nur überforderte Eltern, die ihre Zuschauer-Kinder (wissend, aber ignorierend, dass sie ihnen damit schaden) mit Süfiigkeitentrash vollstopfen, damit sie die Fresse halten.

Sie sind für den schwierigeren Weg (gutes Fernsehen/gesunde Ernährung) entweder zu doof, zu faul, zu gestresst, auf jeden Fall aber zu verantwortungslos. Nur: Eltern kann man das Sorgerecht entziehen, Fernsehmacher hingegen dürfen die schreienden Gören mit Quatsch vollbtasen, bis sie platzen (leider die Gören, nicht die Fernsehmacher). Zugegeben, das ist eine traurige, niederschmetternde Erkenntnis. Aber ich bin ja nicht hier, um paraliterarischen Frohsinn in die Welt zu pumpen. Übrigens sorgten Pyramiden auch in der Popkultur nur für Ärger. Sie finden sich ausschließlich auf Hüllen schlimmer Platten (Alan Parsons Project, Pink Floyd, Camel).

Nun ja. Ich sitze übrigens immer noch im tiefen Schnee, denn dort, wo man mich rauswarf, klirrt es so kalt aus den Herzen, dass dort ganzjährig Schnee liegt. Hoffentlich kommt bald jemand und heiratet mich hier weg.