Seit 25 Jahren Uneasy Listening


Krise? Welche Krise? Die Goldenen Zitronen wundern sich, warum kein Musiker den Mund aufmacht. Wenn das kein Grund für ein neues Album ist.

Nun verweigern sie sich schon seit einem Vierteljahrhundert. Der verhassten Musikindustrie vor allem. Aber auch ihren Anhängern hat es die wichtigste linkspolitische Band Deutschlands nie leicht gemacht. Erwartungshaltungen erfüllen? Steht nicht im Vertrag. Nicht wenige Fans aus frühen Zeiten nehmen es ihnen bis heute übel, dass sie dem Spaßpunk so schnell wie konsequent den Rücken kehrten. Vor allem aber entzieht sich die Band, die sich selbst nur liebevoll „Goldies“ ruft, auch 25 Jahre nach ihrer Gründung der Konsumierbarkett. Jeder, der schon einmal versucht hat, ein Album der Zitronen nebenbei zu hören, weiß, wie unmöglich dieses Unterfangen ist. Nebenbei funktioniert hier gar nichts. Den meisten Menschen, die sich „in Musikdingen als durchaus aufgeschlossenen“ bezeichnen, wird auch zum neuen Album DIE ENTSTEHUNG DER NACHT nicht viel Originelles einfallen. Zu nervig, anstrengend und verkopft, lauten die (Vor-)Urteile. Weil die Hamburger Diskurs-Institution auf ihrem neuen Album und drei Jahre nach LENIN (2006) wieder genau das tut, wofür Nachkommen wie Tocotronic und Jan Delay sie verehren, der Mainstream sie aber ablehnt:

politisieren, agitieren, meckern, anklagen, verbat um sich hauen, intellektualisieren, Zicken, kurz: ohne Ende rumnerven. Schorsch Kamerun sprechsingt dazu weiterhin so, als hätte er Hans Clarin verschluckt, der gerade mit seiner irrsten Pumuckl-Stimme herumzetert. Die beiden letzten verbliebenen Gründungsmitglieder der Goldenen Zitronen, Ted Gaier und Schorsch Kamerun, sitzen auf einem durchgesessenen Sofa im Büro ihres Labels Buback und kauen Kekse. Im Waschzettel zu DIE ENT-STEHUNG DER NACHT steht ausnahmsweise zutreffend: „Der Text bleibt selbstredend erstes Instrument.“ Und die Überschrift, die man über die 13 Songs setzen könnte, lautet: Krise. „Wir hatten nicht so richtig Bock, über die Krise zu singen , sagt der tur die Texte verantwortliche Ted Gaier, „aber es geht auch nicht, das totzuschweigen. Ich finde es interessant, dass es in zeitgenössischen deutschsprachigen Songs überhaupt keine Auseinandersetzung mit der Krise gibt, überhaupt nicht. Die Angelsachsen machen auch so weiter wie immer.

Das ist seltsam, weil die Stärke von Pop in der Vergangenheit ja gerade das Aufgreifen von Verhältnissen, auch politischen Verhältnissen war.“ Die Goldies thematisieren die Börsenkrise, lamentieren über die Medienkrise, beschreiben eine Beziehungskrise und wehklagen (“ Ich habe Schmerzen!“ I “ Bloß weil ich friere, ist noch lang nicht Winter“) bis zur Sinnkrise. Sie geißeln die Pseudo-Authentizität des Web 2.0, führen die Heile-Wek-Bewahrer Silbermond vor und nehmen sich

mdertjesdlschattskritik auch selbst nicht aus: „Sind wir noch Selbstvertoner? / Oder schon Bildschirmschöner?“, heißt es im musikalisch äußerst fröhlich daherkommenden „Wir verlassen die Erde“.

Sogar ein Song über den tödlich verunglückten österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider ist dabei. In „Des Landeshauptmanns letzter Weg“ beschreiben die Goldies den Gedächtnisverlust, der nach dem Ableben Haiders in der Alpenrepublik einsetzte. „Die Verehrung hatte fast etwas von Lady Diana“, erinnert sich Gaier, der, wie der Zufall es wollte, just zu jener Zeit i n Wien weilte. “ Einige Textzeilen wie,Die Sonne unseres Landes‘ habe ich direkt so aus der Zeitung übernommen“, sagt der 45-Jährige und schüttelt den Kopf. Für Kamerun hat die kollektive Trauer auch einen psychologischen Effekt: “ Irgendwie scheint der Mann für Österreich auch so eine Art Identitätsbehauptung gewesen zu sein. Man hatte was, woran man sich auch reiben konnte. Es gibt da auch so eine Schlagerplatte, , Haiders Lieblingshits‘ oder so, die ist da der absolute Superrenner geworden.“

Es wird gelacht. Auch so eines der Vorurteile, dass Linke zum Lachen in den Keller gehen. Zuvor hatte sich Gaier schon ausführlich über das „Wonderwoman“-T-Shirt der Autorin ausgelassen, was wiederum Kamerun anstachelte, zu einem Exkurs über seine angeblichen Superkräfte auszuholen („Wenn du Wonderwoman bist, bin ich Beach-Dödel“). Eine Gelassenheit, die sich auch auf dem neuen Album bemerkbar macht, wie Kamerun findet:

„Das ist nicht mehr der Gegensatz: Ihr seid die Schweine, hier ist das Gegensystem. Positionen‘ ‚wirkt wie eine märchenhafte Utopie. Das ist keine spöttische oder harsche Kritik am System. Eher: Kann es eine Utopie überhaupt noch geben?“

Wie könnte so eine Utopie am Rande der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Ende des zweiten Weltkriegs aussehen? Ted Gaier: „Das sind immer zwei Ebenen: Realpolitik und utopische Politik. Natürlich kann man als Anarcho argumentieren, dass noch viel mehr zusammenkrachen muss, damit die Leute einen Umbruch wagen wollen. Wie das in den Gesellschaften Lateinamerikas ist. Da gibt es ein sehr breites Gefühl von Solidarisierung in der Bevölkerung, was hier im fortgeschrittenen Kapitalismus grad gar nicht auf der Agenda steht. Da kann man eigentlich nur hoffen, dass es noch mehr den Bach runter geht.“ Schorsch Kamerun: „Das ist ja auch erst mal das Durchspielen einer Situation. Wenn es nicht zum Zusammenbruch kommt, wird das System am Tropf gehalten. Dadurch ist wiederum auch die Möglichkeit nicht da, überhaupt zu einer Art von Utopie zu kommen. Das kann man dann nur abstrakt beschreiben. Dass wir jetzt alle hier in irgend so einer Art von Realität leben, die uns durch die Bank nicht froh macht, steht ja außer Frage.“

Utopien entwickeln – das versuchen die Zitronen-Bandmitglieder auch am Theater. Für Gaier, der seit 1998 am Theater aktiv ist, u. a. als Gast der international agierenden Theatergruppe 400asa, sind die Bühnenbretter „einer der letzten verbliebenen künstlerischen Freiräume, die nicht kapitalistisch verwertet werden“

(stern.de). Kamerun, der u. a. für die Münchner Kammerspiele gearbeitet hat, zieht noch einen anderen Vorteil aus der Theaterarbeit: „Die Sprachhaltung ist wirklich schön. Da kriegst du mit, wie Schauspieler mit Texten umgehen, weil sie auch mit vanz anderen Texten gefüttert werden. Da kann man wunderbar lernen“.

sagt er. Ansonsten gehen es die Zitronen nach 25 Jahren eher langsamer an, wie Ted Gaier zufrieden konstatiert: “ Unsere frühen Platten sind alle zu schnell gespielt. Diese ganze Anspannung, die bis SCMFOTTZUM FAHRSTUHL noch da ist, wo alles so High Speed ist. Bei IE/V/A‘ wurde es schon relaxter. Man merkt das auch an der Länge der Stücke. Früher waren die Songs alle 1:50 lang im Durchschnitt, jetzt sind wir bei 3:30 oder so.“ Da lacht er. Auf eines dürfen wir uns weiterhin verlassen: Die Gefahr, dass die Zitronen „so etwas Entwürdigendes tun, wie für T-Mohile oder Jägermeister zu spielen“ (Gaier), bleibt gering …