Sensible Sirene


Ihr großes Vorbild ist Van Morrison. Mit ihm teilt Heather Nova nicht nur den Hang zur Melancholie. Genau wie Morrison möchte auch Mrs. Nova ihre Songs nicht erklären.

Ihr Händedruck ist schwach, das Lächeln flüchtig. Viel zu zierlich wirkt Heather Nova in ihrer weitläufigen Suite im Münchner „Park Hilton“. Rasch zieht sie sich wieder auf ihr Sofa zurück, macht sich in der Ecke noch kleiner, indem sie die Beine hochzieht und die Arme um die Knie schlingt. Es ist nicht leicht, mit einer Gesprächspartnerin warm zu werden, die mit jeder ihrer Gesten Distanz signalisiert. So prallt sie denn auch förmlich vor einer alten Ausgabe des ME zurück, in der sie die Titelseite ziert: „Schreckliches Foto! Ich mag dieses Bild nicht!“

Es zeigt eine jugendliche Schönheit mit ätherischen Charme, traumverhangenen Blick und leicht geöffneten Lippen. Die Single „Walk This World“ stand gerade in den Charts.das zugehörige Album „Oyster“ dicht auf den Fersen. Und die Vita der attraktiven Newcomerin war ein gefundenes Fressen für den hungrigen Hype. Ist ja auch eine anrührende Geschichte, die sich da erzählen läßt: Als kleines Mädchen lebte Heather auf den Bermudas, segelte mit ihren Eltern durch die Karibik und die Ostküste entlang. Diese Eltern, das waren Hippies der alten Schule. Sie nahmen ihre Tochter von der Schule, als sie neun Jahre alt war, um sie selbst zu unterrichten. Mit musischem Schwerpunkt, versteht sich. Als Heather „Astral Weeks“ von Van Morrison hört, verliert sie vor Entzücken fast den Verstand. Auf „After The Goldrush“ von Neil Young reagiert sie in ähnlicher Weise, läßt die Violine kurzerhand links liegen und komponiert auf Vaters Wanderklampfe ihre ersten Songs – „nur so als Hobby“. Mit 15 dann stellt sie sich wieder dem Ernst des Lebens, geht drei Jahre lang regelmäßig zur Schule und anschließend nach Rhode Island/New York, um Filmwissenschaften zu studieren. Dort nimmt Heather den Nachnamen ihrer indianischen Großmutter an: Nova statt Frith.

„Nach der langen Einsamkeit auf dem Boot.auf den Inseln, brach diese ganze Welt mit Wucht über mich herein“, murmelt Heather, wobei sie mit höchster Konzentration kontrolliert, ob sich ihre Haarspitzen spalten. Dann befördert sie die Mähne mit einer kräftigen Kopfbewegung zurück in den Nacken und seufzt: „Nach dem Studium bin ich dann nach London abgehauen. „Aha, wohl mit Demotapes im Gepäck, um in der Stadt der Singer/Songwriter das Glück zu suchen? „Nö, eigentlich nicht. Ich wollte dort eine Weile bleiben, um Gras über eine unglückliche Beziehung wachsen zu lassen. Mein damaliger Freund hatte mich betrogen – mit meiner Schwester. Wenn solche Katastrophen passieren, gehen dir zwangsläufig sehr merkwürdige Sachen durch den Kopf herum.“ Ohne den Schmerz, diesen düsteren Rausch, kommt gute Musik wohl nicht aus. Und auch nicht, wenn man nicht die Schattenseiten des Künstlerlebens kennengelernt hat:“Einen meiner ersten Auftritte hatte ich in einer Schwulenbar. Im Cafe de Piaf in der Waterloo Station in London. Ein Freund hatte mich gebeten, bei seiner Geburtstagsparty aufzutreten. Und dann stand ich da, ein Mädchen mit Gitarre, zwischen lauter Sadomaso-Typen. War komisch.“

Komisch? Ziellos aber selbstbewußt tingelt Heather in ihren Londoner Anfangstagen durch die Szene. Ein Achtspur-Demo ist schon aufgenommen. Aber noch hat keine Plattenfirma Interesse gezeigt. Das klingt nicht gerade nach Zuckerschlecken, und fast zwangsläufig drängt sich dieser kühne Spruch auf: Wenn du einen guten Künstler willst, dann nimm ihm sein Brot. Derlei Sätze treiben Heather Nova die Zornesröte ins Gesicht: „Blödsinn! Ich glaube nicht an das Klischee vom leidenden Künstler. Wenn es dir dreckig geht, bist du vielleicht offener für Kunst, für eine höhere Ebene der Kommunikation. Und Dinge zu benennen heißt, sie in den Griff zu kriegen. Im Moment geht es mir also ausgesprochen gut!“

Von ihrem Debüt „Glowstars“ (1992) konnte Heather gerade mal 5000 Exemplare absetzten. Den Nachfolger, ein im Vorprogramm von Bob Mould und den Violent Femmes eingespieltes Live-Album namens“Blow“ (1993), ereilte ein ähnliches Schicksal. Erst „Oyster“ (1995) brachte den Knoten zum Platzen: „Seitdem kann ich es mir leisten, ein bißchen entspannter an die Sache ranzugehen.“

Davon zeugt auch das aktuelle Album „Siren“, das Heather auf den Bermudas komponiert und in London mit ihrem frischgebackenen Ehemann Youth produziert hat. Es ist das akustische Tagebuch einer Frau, die ihre Krise überwunden hat und nach vorne blickt. Da ist zum einen die Single „I Am The Girl“, die-will man nicht zu hart mit ihr ins Gericht gehen – als eine Antwort auf Meredith Brooks'“Bitch“ bewertet werden kann. Zum anderen aber warten auf dem neuen Album aber auch Juwelen wie „Make You Mine“, „Valley Of Sound“ oder „Not Only Human“ auf die Entdeckung durch den Zuhörer – gleitende, weite Jamsessions, ein tonverliebtes Schwärmen in Klang und Raum. Wenn „Oyster“ noch eine musikalische Auster war, die es zu knacken galt, ist „Siren“ deutlich direkter, ein positiver, fast fröhlicher Lockruf. Befragt man Heather nach dem mythologischen Symbolgehalt des Plattentitels, hüpft sie sofort wieder in ihren kommunikativen Schützengraben. Verschränkt die Arme vor der Brust, läßt den Vorhang ihrer Haare fallen und zieht eine tiefe Stirnfalte: „Ich wollte mich nicht als männermordenden Vamp darstellen. Sirenen singen einfach nur, weil sie singen müssen, weil es in ihrer Natur liegt. Wenn das Odysseus und seine Mannschaft in Gefahr gebracht hat, ist das ihr Problem-die hatten in diesem Teil der See sowieso nichts verloren! Und überhaupt: Männer können von Frauen wahnsinnig viel über Gefühl lernen!“ Und umgekehrt? Heather lächelt – und schweigt.

In unsichere Gewässer begibt sich auch, wer von der Sängerin Auskunft über Sinn und Inhalt einzelner Songs begehrt. Da hält sie es ganz mit ihrem erklärten Idol Van Morrison und kontert mit bissigen Gegenfragen: „Funktionieren meine Songs etwa nicht? Warum soll ich sie erklären, wenn sie doch aus sich selbst leben? Wir sprechen doch von emotionalen Botschaften, oder? Und die kann man eben nicht mit Worten erklären.“

Heather wippt nervös mit dem Fuß und knabbert den roten Lack von ihren Fingernägeln. Dann greift sie wieder den Faden auf, redet über ihre Arbeit: „Es geht um Poesie. Ich will erreichen, daß aus der Kombination von Text, Musik und Stimme etwas entsteht, das mehr ist als die Summe der Einzelteile. So was wie Magie vielleicht.“

Immer leiser wird ihre Stimme, bis Heather sich umdreht und aus dem Fenster schaut, in die Dämmerung über München, und gar nichts mehr sagt. Nur noch nachdenkt, mit offenem Mund. Es ist jetzt dunkel im Zimmer, und niemand schaltet das Licht ein. Das Aufnahmegerät läuft weiter.