Sepultura spielen unter katastrophalen Umständen


Berlin. Das Desaster begannt schon vor dem Konzert. Die Türen des Huxley’s werden viel zu spät geöffnet, am Einlaß herrsch! ein gnadenloses Geschiebe und Gedränge. Der Security-Check verläuft nur schleppend, es ist bereits 21 Uhr, und die Headbanger haben Angst, nur ja nicht etwas zu versäumen. Die Stimmung in dem riesigen Pulk vor der Tür ist panisch aggressiv, vereinzelt kommi es gar zu Handgreiflichkeiten. Endlich drinnen, verbessert sich die Lage keineswegs, im Club herrscht bedrohliche Enge, die Luft ist miserabel. Die Menschenschlange zu den Toiletten schiebt sich nur zäh an jener Schlange vorbei, die von den Klos zurückkommt.

Gegen zehn Uhr verlöschen die Lichter, und der Opener Paradise Lost läßt seinen düsteren Gothic Metal aus den Boxen krachen, zentnerschwere Grabstein-Riffs wabern durch den Raum, getragen von monströsen Drumund Bass-Rhythmen, gekrönt von den typisch melancholischen Trauer-Soli des Leadgitarristen Gregor Mackintosh. Frontmann Nick Holmes nimmt die dramatische Situation des Publikums nicht wahr und röhrt routiniert in den verrauchten Saal. Mittlerweile werden die ersten bewußtlosen Metaller gen Ausgang geschleppt, die Reihe der Ohnmächtigen wird während des gesamten Konzerts nicht abreißen. Die Enge wird immer qualvoller, es gibt kaum noch Platz zum Atmen, so nahe rücken einem Vorder-, Hinter- und Nebenmänner auf den Leib. Hochgradig gestreßte Heavy-Fans rasten aus und verschaffen sich Platz, indem sie wild um sich schlagen —- mit der Folge, daß sich die unsanft Gestoßenen fast gegenseitig erdrücken.

Derweil betritt Sepultura unter anerkennendem Gejohle die Bühne. Hinter den Brasilianern hängt eine menschliche Skulptur an den Füßen aufgehängt, symbolisch für alle Unterdrückten dieser Welt, symbolisch aber auch für furchterregende Situation im Huxley’s. Die Dschungel-Metaller bersten förmlich vor Aggression, mit ganzer Körperkraft schreit Max Cavalera seine wütenden Texte ins Mikro. Das musikalische Zentrum Sepulturas ist dennoch das Drum-Set von Bruders Igor Cavalera: Er ist der Herr des Hammers und gebietet über einen unglaublichen Bums in Armen und Beinen. Kompliment auch an die Soundcrew, die heute einen exzellenten Tag hat: Die dissonanten Soli von Leadgitarrist Andreas Kisser kommen so präzise rüber wie der punktgenaue Bass von Paulo jr.

Doch die ganze Mühe der Band, die sich seit ihrem letzten Besuch enorm entwickelt hat, ist umsonst, wenn die Stimmungslage der Zuhörer zwischen nackter Angst und kalter Wut schwankt. Während die Muskelmänner im Publikum sich mit Gewalt Raum verschaffen, verlassen die weniger bemittelten Kids die Halle vorzeitig — aus nackter Angst, an der Wand zerquetscht zu werden. Tourpromoter Rainer Hänsel und der örtliche Veranstalter, die Agentur Jörg Lengauer, kennen keine Skrupel. O-Ton Hänsel: „Wenn ich einmal im Jahr mit einer Tour Geld verdienen kann, dann laß ich da eben 2.500 Leute ‚rein.“ Die zugelassene Besucherzahl des Huxley’s beträgt maximal 1.800. Hänsel spricht wohlgemerkt nur von den zahlenden Zuschauern. Ein Mitarbeiter des Clubs, der namentlich nicht genannt werden will, schätzt die Zahl der Besucher auf 2.800 bis 3.000. Die beiden Veranstalter können von Glück reden, daß an diesem Abend keine Panik ausbricht: Verletzungen oder Schlimmeres wären dann wohl kaum vermeidbar gewesen.