Sex $ells


Man muß nicht einmal einschlägige Herren-Magazine bemühen, um nackten Tatsachen ins Auge zu sehen. Seien es nun Plattencover, Promo-Videos oder die Titelseiten von Illustrierten-Pop goes Penthouse. Vorbei ist die Zeit, in der ein Boy George die Geschlechtslosigkeit predigte-oder eine Ann Lennox den androgynen Misch-Menschen propagierte. Inzwischen kennt man nicht nur wieder sein Geschlecht-man zeigt es auch! Nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung dürfte sicher ein halbseidener Gnom aus Minneapolis sein: Prince blies zur Offensive an der Sex-Front- und rannte offene Türen ein. Seine Proteges Vanity (l.) und Apollonia zögerten nicht lange und zogen sich aus. Und machten natürlich mehr Schlagzeilen als mit ihrer Musik. Sex sells...

LEE AARON

… „Canadas sexiest voice“, hatte keine Skrupel, als das US-Magazin OUI Fleisch sehen wollte. Nachher rollten natürlich bittere Tränen. Denn was als PR-Gag geplant war, erwies sich für ihre musikalischen Ambitionen als Bumerang: Auch wenn sie auf der Bühne nicht gerade der Prüderie frönt, geht ihr die Fixierung auf die Rolle der Rock-Stripperin gegen den Strich.

Doppelte Promotion bedeutete für Lee Aaron die OUI-Coverstory vom März ’83. Die Plattenfirma schaltete schnell und schob eine Picture-Disc nach – Rillen, die auch ohne Staub knistern.

STAR SISTERS

derTulpen zu verlassen. Ein Pictorial von Ober-Schwester Patricia Paay, einst als Schlagersängerin erfolgreich, soll für Publicity sorgen. In der jüngsten Ausgabe desfranzösischen LUI-Magazins wurde die PR-Aktionin die Tat umgesetzt.

APOLLONIA

… ist neben Vanity das gefragteste Pop-Modell. In einem Special des US-Playboy („The Girls Of Rock ’n‘ Roll“) konnte man sie prompt als „Aufmacher“ bewundern. Selbst ME/Sounds, ansonsten keusch und sittsam, kam an ihren „Argumenten“ nicht vorbei und holte sie im November ’84 aufs Cover.

DALE BOZZIO

… Sängerin der kalifornischen Gruppe Missing Persons, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein haariger Fall. Das ehemalige Playboy-Bunny hatte keine Hemmungen, für das Hardcore-Magazin „Hustler“ derart enthüllende Fotos zu machen, daß -wie man so schön sagt-für die Fantasie kein Freiraum mehr bleibt. Die anrüchigen Fotos wurden bereits 79/80 gemacht, aufgrund der großen „Nachfrage“ aber im Februar 1985 wiederholt. Daß ihre Vergangenheit wieder ausgegraben wurde, trägt Dale mit Fassung: „Ich kann wohl kaum verleugnen, daß ich das bin. Ich bewahre meinen Humor- und wenn du ehrlich bist, stellt sich doch jeder auf den Kopf, wenn er mal keine Kohlen hat.“

DEBBIE HARRY

Wie Dale Bozzio hielt sich auch Blondies Debbie Harry anfangs als Playboy-Bunny über Wasser; fotografische Dokumente dieser Zeit wurden allerdings weitgehend aus dem Verkehr gezogen. Aber selbst die zahmeren Schnappschüsse, die heute noch im Umlauf sind, lassen erkennen, daß auch Debbie im Modell-Metier bestens bewandert war.

ME/Sounds-Fotostudio, I München, 10 Uhr vor-I mittags. Nicht unbedingt die Zeit, die aus Prinzip übernächtigte Pop-Branchenmenschen besonders erotisiert erleben.

Doch es gibt auch Ausnahmen: Im gut ausgeleuchteten Set räkeln sich drei Damen in knappster Unterwäsche, lächeln lasziv und lüstern in motorbetriebene Fotoapparaturen und benehmen sich ganz so, als hätten sie eben Aphrodisiaka gleich literweise getrunken.

Der Mann hinter der Kamera zeigt sich befriedigt „endlich mal Vollprofis!“; die ebenfalls anwesenden Herrschaften männlichen Geschlechts bemühen sich vergebens um einen „lch-steh-da-drüber“-Blick.

Die Session dauert eine knappe Stunde.dann ist der Spuk vorbei. Die Mädchen mittlerweile deutlich abgekühlt um die gerade noch so aufreizenden Augen – ziehen sich an und verschwinden samt Begleitung (Visagistin, Managerin, Plattenfirma-Betreuerin) zum nächsten Termin.

Apollinia 6 wissen natürlich nur zu genau, was sie da tun. „Sex sells“ ist mehr denn je ein ehernes Gesetz geworden, das in allen Massenmedien Anwendung findet. Ob in Video, auf Titelblättern oder Plattenhüllen eine Frau, erotisch fotografiert, ist nun einmal um einiges ansprechender (und verkaufsfördernder!) als etwa ein Kohl aus Oggersheim.

Ob Stern, Quick oder Bunte die Illustrierten kennen die psychologischen Mechanismen (keine Sorge, ME/Sounds auch!). Selbst der so seriöse Spiegel verkauft bis zu 50000 Exemplare mehr, wenn sich zwischen Politikern und Wirtschaftsbossen einmal ein kleines Nacktfoto verirrt.

Natürlich sind die freizügigen Fotos für Feministinnenlein gefundenes Fressen. Man erinnert sich noch an die Attacken der Alice Schwarzer-Fraktion gegen diverse Stern-Titelbilder, auf denen die Frau zum bloßen Lustobjekt reduziert worden sei. Sinnigerweise zeigte dann auch unlängst „Emma“ – natürlich unter streng künstlerisch/ ästhetischen Gesichtspunkten freie Oberweiten auf dem Umschlag …

Alice hin, Schwarzer her -Karriere ist vielen Damen wichtiger als verstaubte Moralvorstellungen.

Überhaupt Moral! Fragt man

Patty „Apollonia“ Kotero, Vamty oder Madonna, ob sie sich durch ihre bewußte Freizügigkeit in Bild und Ton nicht als Frau ausgebeutet fühlen, wird man nur Gelächter ernten. Madonna: „Warum? Wenn jemand wie Prince, Elvis oder Jagger Sex ausstrahlen, werden sie als ehrliche, sinnliche Künstler bezeichnet. Wenn ich aber das tue, heißt es gleich: Um Gottes Willen Madonna! Du wirfst die Frauenbewegung um Millionen Jahre zurück!“

Auch wenn sie selbst sich vergleichsweise züchtig gibt, stimmt Cindy Lauper ihr in diesem Punkt doch zu: „Wie kann man eine Frau, nur weil sie Sex hat, auf so blöde Weise kritisieren, wo doch Männer seit einer Ewigkeit von nichts anderem singen!“

Sex ist nicht erst seit Prince untrennbar mit Rockmusik verbunden. Schon die Wortkreation „Rock’n’Roll“ aus den seligen 50er Jahren ist nichts anderes als die keimfreie Umschreibung sexueller Bettakrobatik. Elvis schockte mit seinem aufreizenden Hüftschwung nicht nur das prüde Amerika – und was dann in den 60ern folgte, ist als „sexuelle Revolution“ in die Geschichte eingegangen. Ein paar Songtitel gefällig? „Mama Told Me Not To Come“, „Easy Comin‘ Out (Hard Goin‘ In)“, „Push, Push In The Bush“, „Why Don’t We Do It In The Road“, „My Ding-A-Ling“ und nur für den partnerlosen Mitmenschen – „You’ll Never Get Cheated By Your Hand“. Die Frauen im Business nannten sich damals Shirelles, Ronettes, Chrystals oder – die wohl bekanntesten – Supremes. Versteckte (oder auch offene) Andeutungen, die ein männlicher Interpret schon mal ungestraft in den Mund nehmen konnte, waren für die Damen allerdings noch tabu; bei „Be My Baby“ war die Schamgrenze damals schon erreicht. Revolutionär allerdings wirkte seinerzeit schon eine Tina Turner, die es in ihren Bewegungen auf der Bühne an eindeutiger Zweideutigkeit nicht mangeln ließ; sehr zum Verdruß professioneller Moralapostel, die ein derartiges Verhalten lautstark als „Auswuchs“ brandmarkten und schon Sodom und Gomorrha beschworen.

Interessanterweise ist es gerade Tina Turner, die heute den Trend zum Pinup-Pop rigoros ablehnt. Lukrative Offerten von diversen Männer-Magazinen (vor allem Penthouse) hat sie entrüstet abgelehnt; ja nicht einmal ein Interview wollte sie dem Playboy geben, weil „ich in diesem Umfeld auf keine Weise stattfinden will.“

Ähnlich gelagerte Fälle gibt es viele: Kim Wilde (bzw. ihre besorgte Mutter) lehnte ein Angebot des Playboy ab; Thompson Twins-Sängerin Alannah Currie wollte sich selbst durch eine 50.000 Pfund-Offerte des Penthouse-Magazins nicht umstimmen lassen. Im Prinzip gilt: Wer sich einmal auf der Bühne Popularität erworben hat (und über das entsprechende Äußere verfügt), wird früher oder später mit derartigen Angeboten konfrontiert werden. Ob man drauf eingeht und die Bluse lüftet, ist dann nur mehr eine Gewissensfrage. Nena beispielsweise, Deutschlands propperes Fräuleinwunder, wollte ihre fraulichen Reize bislang nicht auf Hochglanz-Seiten abgelichtet sehen. Und selbst Paparazzis, die sich mit Teleobjektiven auf die Lauer gelegt hatten, um Nena nackt vor die Linse zu bekommen, konnten mit Ihrer Beute bislang nicht landen: Zeitschriften, denen das Material für angeblich 15.000- DM angeboten worden war, wollten nicht anbeissen: Die Fotos waren augenscheinlich nicht „substanziell“ genug.

Skrupel dieser Art – sowohl beim Modell als auch beim Macher – werden allerdings immer seltener; die Beispiele, die auf den vorangegangenen Seiten gezeigt wurden, sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. So ist etwa Grace Jones gerade in diesen Tagen damit beschäftigt, für den Starfotografen Helmut Newton und den US-Playboy textilfrei Modell zu stehen. Und die Mädel, die’s machen, machen’s inzwischen nicht einmal mehr verschämt, sondern kokettieren gar mit ihren nackten Angeboten. Wie keck und selbstverständlich sich die neue Popfrau im Studio bewegt, konnte etwa „Bravo“-Fotograf Frederick Gabowicz feststellen, als er – die nur mit einem Pelzmantel bekleidete – Vanity abzulichten hatte: „Sie wußte natürlich, wie solche Sessions funktionieren. Nach einem Schuß braucht es immer ein paar Sekunden,’bis die Blitzlichtanlage wieder aufgeladen ist. Also öffnete sie jedesmal ihren Mantel, sofort nachdem ich abgedrückt hatte, grinste mich breit an, und machte rechtzeitig wieder zu… dieses Biest!“