Sie ist erfolgreich und begehrt.Trotzdem hat Mary J. Blige düstere Zeiten hinter sich. Doch alle Dramen haben ein Ende.


Das übliche Problem. Da werden Journalisten zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort bestellt (hier: Das Four Seasons Hotel in New York an einem sonnigen Sommernachmittag), um anlässlich der Veröffentlichung eines neuen Albums eines Künstlers (hier: „No More Drama“ von Mary J. Blige) ein Interview mit dem Star zu führen. Allein, es fehlt der Star. Das gewissenhafte Personal an der Rezeption gibt sich unwissend, und die zuständige Kontaktperson der Plattenfirma hat ihr Handy offenbar abgeschaltet. Unerreichbar. Gehört Mary ). Blige zu den Künstlerinnen, die bevorzugt gar nicht erst zu Interviews aufkreuzen? Ungewissheit. Aber sie soll sich doch geändert haben, zugänglicher geworden sein, hieß es. Abwarten.

Eine halbe Stunde später taucht die PR-Frau auf, entschuldigt sich und den Star und kündigt eine weitere Verzögerung von einer Stunde an. Unangenehm.

Aber weniger dramatisch als befürchtet. Immerhin geht es ja um einen Star. Da gehört so etwas eben dazu. Lind außerdem steht „No More Drama“, der Titel des neuen Albums, die neue Losung, lediglich dafür, dass Mary künftig nicht mehr Opfer von irgendwelchen Dramen sein möchte. Denn davon scheint sie in ihrer Vergangenheit genug erlebt zu haben.

„Wenn ich von ‚No More Drama‘ spreche, dann meine ich negativen Bullshit, dem ich begegne, um das einmal so direkt zu sagen. Ich will kein Drama mehr in meinem Leben, und Leute, die mich krank machen, sollen mir aus dem Weg gehen. Ich lehne alles ab, was mich auf eine Ebene bringt, mit der ich nichts zu tun haben will“, erläutert Mary, als es dann doch endlich zum Gespräch kommt, „ich werde mich nicht mit einer verletzenden Beziehung belasten und mich nicht mit Freunden rumschlagen, die nicht wirklich meine Freunde sind, oder auf Leute reagieren, die mit dem Finger auf mich zeigen und behaupten, Mary ist dies oder das, um am Ende nur noch nach deren Erwartungen zu leben. Stattdessen will ich meinen eigenen Erwartungen genügen und das machen, was ich will.“ Die unangenehmen Erfahrungen der Vergangenheit – eine schwierige Beziehung zu dem Jodeci-Sänger K-Ci Hailey etwa sowie Drogenmissbrauch nach den ersten großen Erfolgen zu Beginn der 90er fahre – sollen, so der Wunsch von Mary J. Blige, Erfahrungen der Vergangenheit bleiben.

„Als ich mich auf diese Dinge eingelassen habe, fühlte ich mich mit mir selbst unwohl. Wie sollte ich bei dieser Ausgangslage mehr von einem Partner erwarten? Ich habe seelische und physische Misshandlungen angezogen, weil ich mich selbst misshandelt hatte, durch Drogenmissbrauch, ein mangelndes Selbstwertgefühl und so weiter“, räumt Man‘ J. mit erstaunlicher Offenheit ein. Dabei gibt sich die 30lährige, ganz in Jeans gekleidet, weniger divenhaft, als sie häufig auf Bildern dargestellt wird. Ein Star zum Anfassen, der seine durchaus problematische Vergangenheil nicht leugnet.

Mary Jane wurde 1971 in New York City geboren und zog mit der Familie nach Savannah, Georgia, und schließlich, nachdem ihr Vater, ein Jazzmusiker, die Familie verlassen hatte, mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern wieder nach New York zurück. Mit 16 verließ sie die Schule: „Ich habe immer gute Noten bekommen, aber häufig den Unterricht geschwänzt. Ich war da, um die Prüfungen abzulegen, und bin dann wieder verschwunden. Ich wollte einfach nicht zur Schule gehen, viele der anderen Schüler gingen mir auf die Nerven“, erinnert Mary sich. Mit 17 Jahren nahm sie ein Demo auf, das ihr schließlich einen Vertrag mit Uptown Records einbrachte. Betreut wurde sie von Sean „Puffy“ Combs, dem damaligen A&R-Chef dieses Labels. Bereits mit ihren ersten beiden Alben, „What’s The 411?“ (1992) und „My Life“ (1994), gelang es ihr, riesige Erfolge zu landen und auf einzigartige Weise rauen HipHop und sanften R&B zu verschmelzen, was ihr den Titel „Queen Of HipHop-Soul“ einbrachte. Eine Mischung, die Frau Blige im Laufe der lahre noch erweitert hat, etwa durch Kooperationen mit Popmusikern wie George Michael und Elton John. „Ich sehe mein Publikum inzwischen in den verschiedensten Bereichen“, sagt Mary, „ich sehe es im R&B, zum ersten Mal sogar im Pop. Und natürlich im HipHop.“ Auf „No More Drama“ setzt Madame Blige im Gegensatz zu dem vorangegangenen, eher Balladen-lastigen Album „Mary“ verstärkt auf Uptempo-Tracks, für die sie mit einer Reihe einschlägig bekannter Produzenten wie Dr. Dre oder Missy Elliott zusammenarbeitete. Unterstützt wurde sie außerdem von der Rapperin Eve und dem Funkrocker Lenny Kravitz.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit scheint Mary J. Blige neuen Schwung gegeben zu haben. „Ich bin jetzt eine Kraft, mit der man rechnen muss. Und ich glaube, dass es einige Leute ängstigen wird, dass ich alle Prüfungen überstanden habe. Das, was ihnen am meisten Angst bereiten wird, ist die Tatsache, dass ich dabei immer noch Mary geblieben bin“, erklärt die Sängerin mit nicht zu überhörendem Nachdruck. Die strikte Zurückweisung von Dramen – kaum ein Dasein, in dem sich keine ereignen – erfolgt fast formelhaft, nahezu beschwörend, wie ein Überlebens-Mantra. Motto: Es wird nicht sein, was nicht sein darf. Man wünscht Mary, dass sie Recht behält.

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