Singles


Die beiden Appleton-Schwestern waren ja neulich schon einmal zu Gast an dieser Stelle. Nicole und Natalie. Früher: All Saints. Souly Teen-Dance-Pop. Nicht jeden aufrechten Rockers Sache. Fürwahr. Zweite Single aus dem kommenden Album. „Don’t Worry“ (Polydor/Universal). Plätschert so dahin. Als ob die beiden so wie Robbie Williams den amerikanischen Markt „breaken“ wollen. Mit George-Harrison-„Something“-Gitarre. “ Hört sich an wie Aimee Mann in einer poppigen Produktion“, meint Winkler. Und Recht hat er, Recht hat er.

Recht hat auch der, der The Bangles bis circa 1987 für eine „amtliche“ (sagt man so im Ruhrpott für „knorke“) Band gehalten hat. Susanna Hoffs und die drei anderen brachten immerhin die 12-saitige Rickenbacker wieder ins Spiel und weckten ein Byrds-Bewusstsein in all den ahnungslosen Musikkonsumenten der achtziger Jahre. Dann „Eternal Flame“. Gelackter Stromlinienpop statt schönschrammeligem Semi-Indie, jangly Paisley-Underground. Jetzt: Kein Geld mehr. Wiedervereinigung. Neue Single „Something That You Said“ (Liberty/Capitol). Kein „All About You“, kein „Manie Monday“, kein „In A Different Light“, sondern „Eternal Flame“ auf Nuller-Jahre-Einheitspopniveau. Damit werden die Bangles bestimmt ein zweites Mal den US-Markt breaken.

Vanessa Carlton hat den amerikanischen Markt auch schon gebreakt. Mit diversen Nummer einsen in diversen Billboard-Sparten-Charts. „Pretty Baby“ (A&M/Polydor/Universal) hätten wir vor zehn Jahren noch „Alternative-Pop“ gerufen, weil es damals im Pop keine anderen Alternativen gegeben hat. Heute, zu Zeiten poppiger Alternativen, nennen wir so was der Einfachheit halber „todlangweiliger Erwachsenenpop für Soziologiestudenten im 20. Semester“.

Als ob das dann noch nicht genug wäre, hat Vanessa Carlton – und damit breaken wir aus dramaturgischen Gründen das Alphabetisierungsgesetz in der Singles-Rubrik – zusammen mit den Counting Crows eine Coverversion von Joni Mitchells „Big Yellow Taxi“ (Geffen/Motor/Universal) aufgenommen. So klingt es dann, wenn man Joni Mitchell überhaupt nicht kapiert hat. Aber überhaupt nicht. Überhaupt kein bisschen. So macht man dann aus einem geistreichen Folksong todlangweiligen Erwachsenenpop für Soziologiestudenten im 20. Semester.

Wieder zurück ins Alphabet: Nick Cave & The Bad Seeds, diese alten Teufelskerle, jagen ihrem „Nocturama“-Album eine erste Single hinterher. „Bring It On“ (Mute/Virgin), dem euphorisierenden Duett mit The Saints-Sänger Chris Bailey, stehen zwei Non-Album-Tracks gegenüber. „Shoot Me Down“, eine Cave-Ballade mit Warren Ellis‘ wunderschöner Violine und ohne Blixa Bargeld – wenn das Cover sich nicht irrt. Und „Swing Low“, eine Mid- bis-Uptempo-Nummer mit leichten „Prince Of Darkness“-Tendenzen. Ausnahmsweise: Zwei Anmerkungen zum hier enthaltenen Video von „Bring It On“. Auffällig: 1) das Aussehen von Chris Bailey 2) Viel Hip-Hop-Video-Zierrat in Form von arschwackelnden und Kopulationsbewegungen vortäuschenden Frauen in Hot Pants. Aber, Herr Cave, warum denn das? Unmöglich zu sagen.

EPs vom Gentleman will man nach dem hervorragenden „Journey To Jah“-Album vom vergangenen Jahr eigentlich nicht schlecht finden müssen. Aber zumindest der Titelsong des Kölner Reggae/Dancehall-Mannes auf „Runaway“ (Four Music/Columbia/Sony Music) klingt ein bisschen uninspiriert. „Live It Up“ (feat. Capleton) in seinem richtig verstandenen Traditionalismus, „The Rule“ (feat. Luciano & Taffari) mit seinen souligen Vibes und „What She Deserves“ (feat. Glenn Washington) sind die besseren Tracks. Die B-Seite besser als die A-Seite? Ein seltenes Ereignis im Pop. Zuletzt notiert 1966 bei „Yellow Submarine“ von The Beatles.

Endlich mal welche, die nach den diversen Rettern des Rock antreten, um die „gay church folk music“ zu retten. The Hidden Cameras, eine Band mit -je nachdem – vier bis 15 Mitgliedern, wollen mit „Ban Marriage“ (Rough Trade/ Sanctuary/Zomba) dieses Genre, das in den vergangenen Jahren total in Vergessenheit zu geraten drohte, mit neuen Impulsen versehen. Gospelige und folkige Musik mit Chorgesang, Achtziger-Jahremäßig glatt wie eine Flunder an die Studiowand produziert und textlich die Vorzüge homosexuellen Lebens preisend. Erinnert ein bisschen an Microdisney und frühe Go-Betweens und ein bisschen sehr an die Band Of Holy Joy.

Und jetzt zur besten Band der Welt: The Libertines. Die haben „Time For Heroes“(Rough Trade/Sanctuary/Zombal) aus „Up The Bracket“, dem Album des Jahres 2002, ausgekoppelt, was aber unerheblich ist, denn jeder Song auf ihrem Debüt ist eine Single. Erheblich ist hingegen: auf zwei CD- und eine Vinylsingle verteilen sich insgesamt fünf Demos, die man alle haben muss, muss, muss. „General Smuts“ und „Bangkok“, zwei Clash-infizierte Sixties-Rocker, das skifflende „Mr. Finnegan“ (pass bloß auf, Lonnie Donegan), das irische Seemannslied „Sally Brown“ und „The 7 Deadly Sins“, ein angejazztes Irgendwas mit Hawaiigitarre. Skiffle, Shanty, Hawaiigitarre? Da stellt sich die Frage: Noch alles okay bei den Libertines?