Smells Like Bratwurst: Wie Gerüche die Wahrnehmung von Kunst begleiten
Jan Müller berichtet in seiner Kolumne von olfaktorischen Erlebnissen, die sich in sein Gedächtnis gebrannt haben.
Von den fünf Sinnen ist es nur dem Sehen und dem Hören gelungen, eine intensive Verbindung zu den Künsten einzugehen. Schmecken und Tasten spielen eher untergeordnete Rollen. Und auch der Geruchssinn wird in Verbindung mit Kunst eher selten abgerufen. Und dies, obwohl das Riechen eine durchaus intensive und auf alle Fälle durch und durch invasive Wahrnehmungsform ist. Geruchserinnerungen können sich lebenslang in uns abspeichern. Der Geruch eines Menschen, eines Tieres oder Waldes kann für immer in unserem Gedächtnis bleiben. Ich zum Beispiel trage wohl bis an mein Lebensende ein Faible für den Geruch von entzündetem Tischfeuerwerk in meinem Herzen. Dieses zu riechen, erzeugt in mir große Glücksgefühle, auch durch die dadurch wachgerufenen Erinnerungen.
Warum wurden Gerüche so selten zu Kunst? Ich lasse hier jetzt keine Spitzfindigkeiten gelten. Ein Parfüm ist ein Parfüm, kein Kunstwerk. Das gilt auch für „Chanel No 5“. Doch obwohl Gerüche selten die Hauptrolle in künstlerischen Ausdrucksformen spielen, sind sie dennoch stete Begleiter bei der Wahrnehmung von Kunst. Ich habe den Geruch, der mich auf meinen ersten Konzerten begleitete, im Sinn. Es war der Geruch der Musikräume in den besetzten Häusern und Jugendhäusern. Keine Parfümeur:in oder Chemielaborant:in auf dieser Welt wäre in der Lage, diesen Geruch nachzubilden.
Er setzt sich zusammen aus den Ingredienzien: Dreck, Bier, Staub, Schweiß, Hund, Rauch und Altbau. Und für das Konzerterlebnis ist er ein nicht zu unterschätzender Faktor. Dies ist der Fall einer positiven Unterstützung und Verstärkung der Musik durch Geruch. Der Geruch in kommerzielleren Live-Clubs ähnelt dem eben beschriebenen Geruch, ist aber dennoch anders. Er ähnelt den Gerüchen der alternativen Konzertorte, ist jedoch weniger eigenständig, da der eigentliche Duftkörper meist durch die Benutzung von Reinigungsmitteln eingehegt wurde.
Manchmal sehnte ich mich nach der Zeit vor dem Rauchverbot zurück
Ohnehin war bis Ende des Jahres 2007 der vorherrschende Geruch in deutschen Spielstätten der von Zigarettenrauch. Dies änderte sich schlagartig zum 1. Januar 2008. Seit diesem Tag gilt in Deutschland das Rauchverbot. Ich erinnere mich noch, wie schockiert ich von der Geruchsveränderung war. Statt Rauch war nun meist der Geruch menschlicher Körper, also Schweiß und Ähnliches, in der Luft. Und obwohl ich 2008 bereits Nichtraucher war, sehnte ich mich manchmal nach der Zeit vor dem Rauchverbot zurück.
Noch übler ist manchmal der Geruch, den man auf Open-Air-Festivals ertragen muss. Es ist eine wundervolle und ganz außergewöhnliche Sache, mit einer Band auf der Bühne zu stehen und live zu musizieren. Meist benötige ich allerdings ein paar Songs, um beim Spielen wirklich in die Musik hineinzubegeben. Ist dieser Moment erreicht, so ist das ein Zustand, der nah an der Glückseligkeit ist. Wenn dann der Geruch eines benachbarten Bratwurststandes auf die Bühne weht, ist jedoch sofort alles wieder zunichte.
Da braucht man Nerven wie Drahtseile
Meine schlimmste olfaktorische Belästigung erlebte ich bei einem Festival in der Schweiz. Sie ist mir bis heute in Erinnerung. Wir starteten unser Konzert bei frischer Bergluft. Vielleicht war sogar ein leichtes Heu-Aroma zu vernehmen. Kurz vor Beginn stieg mir Vanilleduft der Hazer-Nebelmaschine in die Nase. Diese Maschine wird vor dem Konzert eingeschaltet, damit das Licht eindrucksvoller inszeniert werden kann. Bereits beim ersten Lied wurde dieser Geruch, den ich, ebenso wie den Geruch von Heu, sehr mag, jedoch von dem oben beschriebenen intensiven Bratwurstgeruch zunichte gemacht. Dieser wurde dann bei Song zwei von einer üblen Cannabis-Wolke überdeckt, die sich bis Song vier hielt. Bei Song fünf gewann wieder der Bratwurstgeruch überhand. Da braucht man Nerven wie Drahtseile.
Getoppt ist so was nur davon, wenn Menschen wirklich der Meinung sind, es sei OK, bei einem kleinen Indoor-Klubkonzert vor der Bühne einen mitgebrachten Döner, Dürüm oder was auch immer zu verspeisen. Auch das habe ich schon erlebt. Das sind die gleichen Leute, die mit Asia-Boxes oder Mettbrötchen in ICEs steigen und anscheinend selbst gar nicht wahrnehmen, was sie ihrer Umgebung zumuten. Diese Menschen sind olfaktorisch verroht. Obwohl … vielleicht werde ich mich eines Tages auch in diese Fraktion einreihen. Denn ich muss sagen: Auf offener Straße Zigarre rauchen, das hat schon was.
Es ist die heftigste passive Aggression, die ich mir vorstellen kann. Ich finde es beeindruckend, wenn einzelne Personen mit einer Monte cristo oder Arapiraca Fumo de Corda ganze Häuserblöcke einnebeln. Das ähnelt dann stark der Belästigung durch zu laute Musik. Hier wird Gestank zur Kunst.
Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 11/2025.



