Sonic Youth


Konzerte von Sonic Youth erkennt man daran, daß vor der Bühne Abiturienten toben, in der Hallenmitte die Fraktion mit den schwarzen Rollkragenpullis am Weißwein nippt und an der Bar Heerscharen selbsternannter „opinion leader“ über den soziokulturellen Aspekt des Abends diskutieren. Sonic Youth, die Band des denkenden Menschen. Im „Elysee Montmartre“ ist das nicht anders. Mit der einzigen Ausnahme vielleicht, daß an diesem Abend die Zahl derer, die sich von berufswegen über Musik äußern, noch höher ist als sonst bei Gigs des New Yorker Quartetts. Es handelt sich nämlich um den vorerst einzigen Europa-Auftritt der vier Amerikaner. Aus diesem Anlaß karrte Geffen denn auch scharenweise Journalisten aus der ganzen Welt nach Paris. Einigen wären jedoch stille Tage in Clichy lieber gewesen als das laute Treiben einen Steinwurf vom „Moulin Rouge“ entfernt. Als bekannt wird, daß sich in dem Club 1.800 Zuschauer statt der offiziell zugelassenen 1.200 drängeln, schlagen einige der angereisten Reporter ohne mit der Wimper zu zucken vor, in ein Restaurant auszuweichen. Ihre Tickets wären sie leicht los geworden. Bis zu 300 Francs (umgerechnet fast 100 Mark) zahlen beinharte Fans auf dem florierenden Schwarzmarkt für eine Karte. Wer rein kommt, sieht erst mal einen blassen jungen Mann, der – solo – seltsame Texte vorträgt und wahlweise Akustik-Klampfe oder Mundharmonika traktiert. ‚Loser‘ spielt er nicht. Auftritte von Beck sind eben immer eine Überraschung. Kurz nach neun schließlich betritt die „Noise Factory“ die Bühne. Thurston Moore, stilgerecht gewandet im weißen Hemd, nuschelt ein kurzes „Good evening“ ins Mikro. Dann legen sie los, die eider statesmen des Alternative Rock. Eine gute Stunde lang verlangen Kim Gordon, Thurston Moore, Lee Ranaldo und Steve Shelley den Marshall-Boxen alles ab. Songs wie ‚Junkie’s Promise‘ (vom aktuellen Album ‚Washing Machine‘), ‚Starfield Road‘ oder ‚Express Way To Yr Skull‘ enden fast ausnahmslos in einem verstörenden Feedback- und Strobogewitter. Nach ‚Teen Age Riot* schließlich plaziert Maestro Moore trotzig seine gequälte Gitarre auf einem Verstärker und verschwindet. Ein minutenlanges grelles Pfeifen begleitet die Zuschauer auf dem Weg nach draußen. Gut zu wissen, daß Sonic Youth auch im 13. Jahr ihrer Karriere nichts von ihrer ungezügelten Lust am Lärm verloren haben.