Sonic Youth


Der Rock, der sich auf seine Traditionen beruft, sollte ihr Rock nicht sein. Sonic Youth traten 1981 an, um der Gitarrenmusik neue Seiten abzutrotzen. So weiteten sie ihre Disziplin über die Jahre auf die Größe eines Universums aus. Wurden Punk- und Popband, Jazzimprovisateure und E-Musiker. Sie waren politisch, gefährlich, verdammt cool und immens einflussreich. Vor allem aber "sind" Sonic Youth knapp 30 Jahre später immer noch weitaus mehr als sie "waren".

1980. Der Rock steckt in der Sackgasse. Die 70er-Jahre waren furios gestartet, haben aber keines ihrer Versprechen eingelöst. Hard- und Progrock waren zu dickleibigen Statuen erstarrt, der Punk fegte den ganzen Bombast hinweg, wurde aber binnen weniger Monate von den Artigkeiten des New Wave und Synthiepop korrumpiert. An der US-Ostküste suchte man nach Alternativen.

Erlösung kam einmal mehr aus Old England, als Brian Eno – selbst ein Überlebender des Progrock-Desasters – bei den Mauerblümchen der brandneuen No-Wave-Szene fündig wurde. Bands wie D.N. A., Lydia Lunchs Teenage Jesus & The Jerks, The Contortions und Mars definierten mit Enos Hilfe den Begriff des Non Musicians, dem sich auch der Bostoner Performer Glenn Branca verpflichtet fühlte. Der war zwar alles andere als ein Antimusiker, nutzte aber die unschuldige Energie dieser Bewegungfürseine eigenen Projekte. Er schrieb Rock-Sinfonien für Orchester mit unterschiedlich gestimmten Gitarren, zu denen unter anderem Gitarrist Lee Ranaldo von der No-Wave-Band The Flucts und die kalifornische Kunststudentin Kim Gordon gehörten. Letztere machte ihn mit dem Coachmen-Gitarristen Thurston Moore bekannt.

Unter dem Einfluss der vielschichtigen Musik Brancas machten sich die drei Youngsters selbstständig, um mit KeyboarderinAnnDe-Marinis und Perkussionist David Linton The Arcadians zu gründen. Die Arcadians verstanden sich als No-Wave-Band der zweiten Generation. Im Juni 1981 absolvierten sie ihren ersten Auftritt unter dem neuen Namen Sonic Youth, einer Kombination aus den Logos ihrer Idole Big Youth und Sonic’s Rendezvous Band.

Sonic Youth waren keine Rockband im gängigen Sinne, die sich in einer Garage traf, um ein paar Songs zu erjammen und dann irgendwann im CBGB’s vor einer Horde zugedröhnter Punks aufzuführen. Auf Grundlage von Brancas Experimenten wollten sie nicht weniger, als dem Rock im bluesfreien Raum ein ganz neues Klangrepertoire zu erschließen. Sie griffen den Faden der frühen Velvet Underground auf und schlössen sich mit der Kunst- und Videofilm-Szene kurz. Wie Grafiker entwarfen sie für jeden Song spezielle Gitarrenstimmungen.

Nach ersten Auftritten verließen DeMarinis und Linton die Band, und mit Neuzugang Richard Edson am Schlagzeug wurde 1982 für Brancas Label Neutral das Minialbum „Sonic Youth“ eingespielt. Die live aufgenommene Platte klang wie ein Manifest des Rock-Minimalismus und war wie alle Manifeste entsprechend emotions- und humorlos. Ihre Kompromisslosigkeit täuschte aber über ein Dilemma hinweg, das der Sonic-Youth-Biograf Alec Foege mit den Worten „too young to bepunk and too old to be alternative“ beschrieb. Sonic Youth wurden von der Kritik als Ende der No-Wave-Szene bezeichnet. Sie grenzten sich weiterhin vom Establishment ab, mussten sich aber erst den neuen Raum erspielen, in dem sie existieren konnten. Von populären Hardcore-Bands wie Black Flag und Hüsker Du trennte sie das Verhältnis zu ihren Songs, die zu diesem Zeitpunkt nur Vehikel für ihre Soundeskapaden waren.

1983 entschied sich Edson für die Schauspielerei (er war später unter anderem in Jim Jarmuschs Film „Stranger Than Paradise“ zu sehen) und wurde von Bob Bert, interimsweise auch von Jim Sclavunos, ersetzt. Dank Kim Gordons guten Kontakten zur kalifornischen Szene kam die Band auf Greg Ginns Label SST unter und veröffentlichte mit CONR’SION IS SF.X einen programmatischen Schulterschluss mit der Hardcore-Bewegung der Westküste. CONITSIOMS SEX war gleichermaßen anarchistische Noise-Ekstase und diszipliniertes Klanglabor. Mit ihrer frenetischen Version von „I Wanna Be Your Dog“ dokumentierte die Band überdies ihre Verwurzelung im artifizicllen Protopunk der späten 60er. Dieses Album wies dem Independent-Rock – der nicht nur wirtschaftlich.

sondern auch stilistisch nach alternativen Wegen suchte – ganz neue Perspektiven. Sonic Youth waren laut und eruptiv, doch sie hatten auch Formbewusstsein und schrumpften den Begriff Avantgarde nicht zur Attitüde. Auf der beständigen Suche nach neuen Ausdrucksformen reicherten sie ihren Sound an und verfeinerten ihn. Alben wie BAD M00N RISING, KVOI. und SISTF.R sowie der Pop-Fake auf dem WH1TEY ALBIjM (unter dem Alter Ego Ciccone Youth) beschrieben einen konsequenten Weg der Vervollkommnung, der 1988 in BAYDREAM NATION‘ gipfelte.

Mit diesem Doppelalbum änderte sich schlagartig die Position von Sonic Youth, die mit Routinier Steve Shelley endlich die Rotation hinter dem Schlagzeug beendeten. Das aufpeitschende „Teen Age Riot“ wurde plötzlich zur Hymne einer ganzen Generation, die den Underground aus dem Ghetto holen und zum alternativen Soundtrack der Ära von Bush senior machen wollte. Wonach sich Sonic Youth immer gesehnt hatten, war plötzlich Wirklichkeit geworden: Sie ritten auf der Schaumkrone einer musikalischen Bewegung. Bekenntnisse von Sonic Youth hatten Gewicht in der Jugendkultur. So nahmen sie 1989 eine junge Band mit auf Tour, die mit ihrem Song „Touch Me I’m Sick“ ihrerseits gerade den amerikanischen Underground aufmischte. Das Wort Grunge gab es noch nicht, doch Sonic Youth erkannten das Potenzial von Mudhoney und dem Sub-Pop-Umfeld in Seattle, zu dem auch die noch völlig unbekannten Nirvana gehörten. Mit Mudhoney brachten sie eine Spht-Single heraus, alle Augen richteten sich plötzlich auf Seattle. Der Rest ist (eine andere) Geschichte.

Ende der 80er hatte auch die Plattenindustrie erkannt, dass sie an der neuen Bewegung nicht mehr vorbeikam. Sonic Youth waren eine der ersten Indiebands, die einen Vertrag bei einem Majorlabcl aushandelten. Ihre Rechnung, die Macht der Industrie für die eigenen Ziele zu nutzen, ging kurzzeitig auf, sollte sich aber langfristig als Irrtum erweisen. Die Ästhetik des Rock veränderte sich nachhaltig, die Strukturen des Entertainmentbusiness hingegen kaum. Doch zunächst einmal hatte der Deal des Majors Geffen mit Sonic Youth die Verpflichtung von Nirvana zur Folge, auf ausdrückliche Empfehlung der New Yorker. Der Underground der 80er wurde plötzlich zum Mainstream. Das ungewohnt griffige Album G00 fing die Energie aus Seattle auf und ist genau genommen eine Blaupause für den späteren Grunge. 1991 gingen Sonic Youth mit Nirvana, den Babes In Toyland und anderen aufstrebenden Grunge- und Hardcore-Bands auf eine Tour, die in dem beeindruckenden Film „1991: The Year Punk Broke“ dokumentiert ist.

Als Nirvana 1992 zu den neuen Beatles avancierten, veränderte sich die Situation für Sonic Youth abermals. Nirvana-Produzent Butch Vig übernahm die Klangregie von D1RTY. Erstmals hatte das Quartett nicht mehr hundertprozentige Kontrolle über seinen Sound. Von der Presse wurde D1R-TY gefeiert, plötzlich galten Sonic Youth als Eider Statesmen für das unfassbar Neue, das von Nirvana repräsentiert wurde. In kreativer Hinsicht befanden sich die passionierten Innovatoren jedoch auf dem Rückzug. Das abermals von Butch Vig produzierte EXPER1MEN-TAL JET SET, TRASH & NO STAR bestätigteden Abwärtstrend. Sonic Youth gaben nicht mehr den Ton an, sondern waren eine Band von vielen. Die Mitglieder suchten sich inzwischen auch in externen Bands und Projekten wie Dim Stars, Velvet Monkeys, Backbeat Band, Free Kitten, Two Dollar Guitar und Kollaborationen mit DJs, Electronic- und Free-Jazz-Musikern zu verwirklichen.

Erst 1995 sollte sich das Blatt wieder wenden, als sich Sonic Youth auf WASHING MACHINK erfreulich expenmentierfreudig zeigten. Die 20-minütige Noiseorgie „Diamond Sea“ war ein unmissverständliches Signal, dass der halbherzige Kurs Heiler auf Seite 56

vorbei war. Die Viererbande holte sich von ihren avantgardistischen Seitenprojekten jene Aufmüpfigkeit zurück, die sie einst selbst ausgelöst hatte. In Konzerten probierte sie oft ausschließlich instrumentales Material aus – nicht selten zum Verdruss der Fans. Die in Ergänzung zu den Song-Alben gestartete SYR-Series verstetigte das alternative Image einer Rockband im Umbruch. Von den oft völlig frei improvisierten Klangforschungen der SYR-Platten profitierten wiederum die regulären Alben. Zudem hatte sich Ende der 90er-Jahre abermals die Klanglandschaft verändert. Plötzlich gewannen mit Tortoise und Jim O’Rourke Musiker Einfluss, deren Konzept ebenso intellektuell war wie das der frühen Sonic Youth.

Möglicherweise wäre der Postrock ohne die Vorarbeit von Sonic Youth gar nicht denkbar gewesen. So stellte A THOliSAND LEAVES 1998 eine ähnliche Annäherung an die Szene von Chicago dar wie G00 an den Prä-Grunge von Seattle. Die Konsequenzen waren für Sonic Youth noch gar nicht abzusehen.

Die Gruppe hatte sich schon immer mit der Ästhetik von John Cage identifiziert. 1999 sah sie die Zeit gekommen, sich öffentlich mit der E-Musik des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen: GOODBYE 20TH CENTURY wurde von Jim O’Rourke produziert, der in der Folge immer enger mit Sonic Youth verschmolz. Auf dem Klangtrip NYC GHOSTS & FLOWERS steuerte er einige Sounds bei, auf den Alben MURRAY STREET und SONIC Nl’RSE gehörte er fest zur Band. Mit dem genialen Multiinstrumentalisten O’Rourke wurden die festen instrumentalen Zuordnungen in der Band aufgelöst. Der Sound wurde immer opulenter und glamouröser.

Die Alben mit O’Rourkes Beteiligung klingen sehr lebendig und doch überfrachtet. Die stilistisch zerrissene Band vollzog eine immer konsequentere Trennung zwischen ihren beiden Säulen. Für die New Yorker Free-Jazz-Renaissance nach der Jahrtausendwende lieferte sie wichtige Impulse, als sie mit dem wiedervereinten New York Art Quartet auftrat. Gemeinsame Projekte gab es auch mit der skandinavischen Jazzcore-Band The Thing, Free-Jazz-Ikone Derek Bailey und der Chanson-Diva Brigitte Fontaine.

2005 wanderte O’Rourke in Richtungjapan ab. Das im Quartett eingespielte Album RATHER RIPPED klang wie ein Befreiungsschlag, auf dem die vier allen Ballast loswurden. Mit der Compilation THE DEST-ROYED ROOM verabschiedeten sich Sonic Youth lautstark und launisch von Geffen. Drei Jahre sollten vergehen, bis sie – durch den ehemaligen Pavement- und Free-Kitten-Bassisten Mark Ibold wieder zum Quintett erweitert – mit THE ETERNAL die Kraft zu einer fulminanten Apotheose fanden. www. sonicyouth.com

„WIR KONNTEN EINFACH LOSLASSEN“

Kim Gordon und Steve Shelley im Interview. Über alten Indiespirit und neue Rockkräfte.

München, Haus der Kunst. Anlässlich einer Ausstellung mit abstrakten Gemälden Gerhard Richters geben Sonic Youth einen Auftritt abseits der regulären Touren. Der Soundcheck zieht sich in die Länge. Die Band probt fast ihr komplettes neues Album THK KTERNA1.. Ein Feuerwerk der Spielfreude und Inspiration. Das Abendkonzert wird nicht annähernd so gut werden. Kim Gordon und Steve Shelley wirken erschöpft, als sie sich nach dem Soundcheck in der riesigen Backstagehalle etwas verloren zum Interview einfinden. Gordon scheint angespannt, doch Shelley bügelt ihre spröde Art freundlich und verbindlich aus.

THE ETERNAL rockt wie kaum ein anderes Album von euch. Woher kommt diese Kraft?

Kim Gordon: Wir nahmen die jeweiligen Songs unmittelbar, nachdem wir sie geschrieben hatten, auf. Früher haben wir immer erst eine Reihe von Songs geschrieben, die wir dann alle auf einmal aufnahmen. Vielleicht macht das den Unterschied aus. Steve Shelley: Wir trafen uns irgendwann in der Woche, : zum Beispiel Mittwoch und ! Donnerstag, in Thurstons Haus und spielten. Am Wochenende kamen Kim und Thurston nach New York, und wir nahmen auf, woran wir die Woche über gearbeitet hatten. Deshalb hatten wir nie mehr als zwei Songs gleichzeitig in der Mache. Anstatt wie sonst zwei Wochen hintereinander an den Basictracks zu werkeln, haben wir diesmal eben nur zwei Tage am Stück gearbeitet, eine Pause eingelegt und uns‘ dann wieder getroffen. Auf diese Weise trugen wir das Album in sehr kleinen Einheiten zusammen. Dabei hatten wir das gar nicht so geplant. Es hat sich einfach so ergeben.

Das klingt sehr technisch. Woher kommt aber diese Energie? Normalerweise klingen Bands routinierter und gelassener, wenn sie älter werden. THE ETERNAL hat immer noch alle Elemente einer Sonic-Youth-CD, klingt aber so frisch wie eure erste Platte.

Gordon: Vielleicht hat es uns inspiriert, nach so vielen Jahren wieder auf einem Indie-Label zu sein. Wir sind wieder dort angekommen, wo wir begonnen haben. Das war ein ganz anderes Gefühl. Wir mussten nicht irgendwelchen Erwartungen genügen, sondern brauchten uns nur um unsere Songs Gedanken zu ma-! chen.

Was genau bedeutet es, heute wieder auf einem Indie-Label zu sein?

Gordon: In Indie-Firmen arbeiten Leute, die sich für Musik interessieren und sich entsprechend dafür einsetzen. Unsere Situation bei Geffen war ja nicht schlecht. Das Hauptproblem bestand aber darin, dass jedes Mal, wenn wir ein neues Album rausbrachten, das komplette Personal gefeuert wurde. Wir hatten keine verlässlichen Ansprechpartner und mussten immer wieder von vorn anfangen. Wir fühlten uns wie ein kleiner Fisch im großen Ozean. Ich finde es wichtig, dass die Leute, mit denen wir arbeiten, unsere Geschichte kennen. Das ist eine Grundvoraussetzung, um auf dem Markt erfolgreich zu sein.

Aber ist die Indie-Szene von heute noch mit der von 1982 vergleichbar?

Gordon: Im Grunde hat sich die Situation von Indie-Labels kaum verändert. Vielleicht hat sich ihre Wahrnehmbarkeit erhöht, wahrscheinlich werden sie besser vertrieben. Sie haben gelernt, Platten zu verkaufen. Für eine Band wie uns bedeutet das wahrscheinlich viel höhere Verkaufszahlcn als auf einem Major-Label. Uns kommt es edoch in erster Linie auf den Geist an. Die genetische Beschaffenheit eines Indie-Labels garantiert, dass Musik immer an erster Stelle steht. Sicher trifft das nicht auf alle Indic-Labels zu, aber viele Indies sind einfach viel gewissenhafter, was die Wahl ihrer Bands und Geschäftspartner betrifft. Sicher hat sich auch stilistisch einiges verändert. Uns kann es nur freuen, wenn es heute ganz normal ist, mit dissonanten Sounds zu arbeiten, denn das war damals zweifellos nicht der Fall.

Wozu braucht ihr überhaupt eine offizielle Plattenfirma, ihr habt doch Sonic Youth Records?

Shelley: Darüber haben wir intensiv diskutiert. Aber SYRist limitiert. Wir vermarkten unsere Platten nicht, sondern bringen die Sachen nur raus und sind damit zufrieden. Wir haben keinerlei kommerzielle Erwartungen.

Gordon: In den Alben, die wir für Geffen gemacht haben und jetzt für Matador, steckt viel mehr Arbeit als in den SYR-Alben. Damit wollen wir schon so viele Menschen wie möglich erreichen. Das heißt, sie brauchen ein ordentliches Marketing. Selbst wenn wir jemanden dafür anheuerten, würde es doch Energien bündeln, die wir für die Musik brauchen.

Fühlt es sich für euch wie zwei unterschiedliche Bands an, wenn ihr auf der einen Seite eure Songalben und auf der anderen die improvisierten SYR-Veröffentlichungen macht?

Shelley: Es ist nur eine andere Seite dessen, was wir ohnehin tun. SYR haben wir bewusst als instrumentales Label gestartet. Auch wenn wir das

nicht konsequent durchgehalten haben, sind die Sachen, die dort erscheinen, doch wesentlich abstrakter. Anfangs haben wir auf diesen CDs noch Sachen ausprobiert, die wir dann auf unsere Songalben einfließen ließen. Vor allem auf den ersten beiden SYR-Editionen gibt es ein paar Passagen, die wir auf A THOKSANl) 1.EAVKS vervollständigten. Aber das ist lange her. Die letzten SYR-Platten waren eher spezielle Gigs. Da haben wir mit besonderen Gästen gespielt und es zufällig aufgenommen. Wir haben Hunderte von Aufnahmen, können aber nicht alle veröffentlichen.

Was habt ihr auf THE ETERNAL von früheren Alben übernommen?

Gordon: Wir denken nicht viel über unsere Vergangenheit nach. Unsere früheren Alben sind ein unverzichtbarer Teil von uns, aber wir machen kein großes Ding daraus. Wir wissen genau, was wir können und wie wir erreichen, was wir wollen.

Shelley: Oftmals ist es so, dass man einen Song schreibt und bestimmte Teile daraus lernt. Plötzlich merkt man, dass man das nicht spielen will, weil es wie etwas klingt, das man früher schon mal abgehakt hat. Diesmal haben wir uns um all das nicht gekümmert. Wenn sich etwas gut anfühlte, haben wir es einfach gespielt, selbst wenn es uns vertraut vorkam. Wir konnten einfach loslassen. Normalerweise hören wir uns unsere älteren Platten nicht an. DAVOR KAM NATION war eine Ausnahme. Die mussten wir uns anhören, weil wir sie für die Tour 2007 wieder spielen lernen mussten. Und wir merkten, dass nichts Schlechtes daran ist, sich mit der Vergangenheit einzulassen.

Hat die positive Kraft der Platte auch etwas mit dem vermeintlichen neuen Lebensgefühl in New York zu tun?

Shelley: Unsere persönliche Si tuation hatte sicher größeren Einfluss auf das Timbre der Platte, aber wir wären definitiv andere Menschen, wenn Obama nicht gewonnen hätte. Vielleicht wäre das Album ganz anders geworden, wenn all das nicht passiert wäre. Doch das ist reine Spekulation. Wir wissen nur, was wir gemacht haben, und können schwer sagen, wie die CD unter anderen Umständen klingen würde.

Die ersten zehn Songs des neuen Albums bilden eine Einheit. Die letzten beiden Nummern „Walkin Blue“ und „Massage The History“ haben dann aber fast eine Art Hippie-Flair. Speziell der letzte Song klingt mit der akustischen Gitarre für Sonic Youth sehr ungewöhnlich … Gordon: „Walkin Blue“ war der letzte Song, den wir aufgenommen haben. Vielleicht ist er deshalb etwas anders. Er hat in der Tat ein gewisses Progrock-Feelmg. In „Massage The History“ fügte er die akustischen Gitarren in letzter Minute hinzu. Thurston hat bereits für die letzten drei Alben viele Songs auf der akustischen Gitarre geschrieben. Erst als wir sie im Studio zusammen spielten, erhielten sie ihre endgültige Form. „Walkin Blue“ geht auf ein Riff zurück, den er für sein letztes Soloalbum TREES OITSIDE THE ACADKMV vorgesehen hatte. Auch auf unseren letzten Platten waren schon einige Stücke, die er eigentlich für potenzielle Soloalben geplant hatte.

Wie hat sich Sonic Youth durch den Wandel von einer vierköpfigen in eine fünfköpfige Band verändert – zuerst mit Neumitglied Jim O’Rourke, dann mit Mark Ibold, der früher bei Pavement gespielt hatte? Gordon: Die Frage liisst sich nicht generell beantworten. Jim O’Rourke und Mark Ibold sind zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten und für Sonic Youth aus ganz verschiedenen Gründen wichtig. Jim erweiterte immens das musikalische Spektrum der Band. Er beherrscht Bass und Gitarre gleichermaßen und entlastete mich so beim Singen. Und er war unser Produzent. Nachdemjim die Band wieder verlassen hatte, entschieden wir uns, einen anderen Bassisten v.u integrieren und zu fünft weiterzumachen. Das hat sich organisch entwickelt.

MURRAY STREET und SONIC NURSE klangen ziemlich produziert, RATHER RIPPED und THE ETERNAL wirken wieder viel organischer … Gordon: Die neue und die letzte Platte sind sicher geradlinigerarrangiert. Jim hatte mit Arrangements generell nicht viel am Hut. Er strotzte vor guten Ideen, aber wir hätten wahrscheinlich einige Passagen auf den betreffenden Alben klanglich ein wenig anarchistischer gelassen. So waren sie im Mix etwas mehr in eine Form gebracht. Aber ich würde MURKAY STREET und SONIC NURSE nicht überproduziert nennen. Sie hatten trotz allem einen ganz natürlichen Sound, wirkten nur einfach viel voller und dichter als die meisten anderen Platten. RATHER RIPPEU war dagegen ganz minimalistisch. THE ETERNAL klingt in meinen Ohren organisch, aber unser Produzent John Agnello stattete das Album mit diesem fetten Rock-Sound aus. Jim hatte eher ein naturalistisches Verhältnis zum Mix.