Soul – 2. Teil


"Soul ist eindeutig", hieß es im ersten Teil unserer Special Story. Während der siebziger Jahre jedoch begann der Begriff diffus zu werden. "Disco", "Funk" und "Philly Sound" lauteten jetzt die Kategorisierungen, Mischformen inklusive. Aber auch wenn vorübergehend Glamour-Tendenzen für Aufweichung sorgten: Immer neue Fusionen (Jazz, Elektronik) halten die Black Music am Leben.

In den Siebzigern löste sich Soul aus den stilistisch überschaubaren Formen der 60er Jahre und entwickelte sich zur diffusen Massenbewegung. Der weltweite Erfolg der Soul-Musik in den Sechzigern trug gewiß seinen Anteil zur Steigerung des Selbstbewußtseins der schwarzen lugendlichen in den USA bei. Dieses neu gewonnene Selbstbewußtsein wiederum steigerte die Kreativität. Die Folge war eine Explosion im Bereich der schwarzen Musik, deren stilistisches Spektrum sich gewaltig auffächerte. Der Begriff „Soul“ trat in den Hintergrund und ist heutzutage kaum noch gebräuchlich. Gebräuchlicher sind, wenn schon: Funk, Disco oder ganz einfach Black Music.

Das erste, musikalisch einschneidende Ereignis in den Siebzigern war die Entstehung des Philly-Sounds. Zunächst schien es eine ganz normale, logische Neu-Entwicklung zu sein: Nach Detroit-Sound (Tamla Motown) und Memphis-Sound (Stax) nun Philly (= Philadelphia) -Sound – ein Prädikat, das die von dem bis dahin eher erfolglosen Produzenten-Duo Kenneth Gamble und Leon A. Huff gegründete Plattenfirma Philadelphia International für sich beanspruchte.

Es lief anfänglich auch alles nach demselben Schema wie zuvor bei Motown und Stax: Man hatte einige Haus-Autoren (Gamble/Huff, McFadden/ Whitehead), eine Haus-Band (MFSB) und einige ältere (O‘-Jays) und neuere (Three Degrees, Trammps) Stars im Aufgebot Die ersten Hits ließen nicht lange auf sich warten: „Dirty Ol‘ Man“ von den Three Degrees, „T.S.O.P. (The Sound Of Philadelphia)“ von MFSB, „Me And Mrs. Jones“ von Billy Paul, „Back Stabbers“ von den O’Iays und diverse andere.

Unüblich jedoch war die Tatsache, daß sich plötzlich überall in den USA die Produzenten an den Philly-Sound-Zug anhängten und das Erfolgsrezept von Gamble/Huff, diese Mischung aus Motown-Soul und weißem easy listening, zu kopieren versuchten. Zum Teil mit ebenfalls sehr großem Erfolg; man denke an „Kung Fu Fighting* von Carl Douglas, „Rock Your Baby“ von George MacCrae, „The Hustle“ von Van McCoy oder an Barry White, dessen erster Hit ein Instrumental war (das „Love’s Theme“ seiner Band The Love Urüimited Orchestra) und der später zum Weltstar avancierte, als er selber anfing zu singen: Schlafzimmer-Soul mit der Eindeutigkeit eines Isaac Hayes und der Glätte eines Andy Williams. Die Antwort Amerikas auf die englische Glitter-Welle war der Philly-Sound, die erste wesentliche musikalische Neuentwicklung in den USA der siebziger Jahre. Kennzeichnend für den Philly-Sound der zweiten Generation waren in erster Linie der durchgehende Bass-Drum-Beat und die Tatsache, daß die Rhythmusgruppe bei der Mischung viel stärker in den Vordergrund gehoben wurde, was den Tänzern (worauf diese Neuerung abzielte) die rhythmische Orientierung erleichterte.

Erstaunlich schnell wurde der Begriff Philly-Sound wieder fallengelassen – er war auch widersinnig geworden, da in ganz Amerika Philly-Sound produziert wurde. Es tauchte ein neuer, treffenderer Terminus auf: Disco-Sound. Unter dem neuen Oberbegriff expandierte dieser Stil in alle Richtungen; Disco-Sound war alles, was schwarz klang und tanzbar war, was den durchgehenden Bass-Drum-Beat hatte. Gegen Ende der 70er konnten auch Rock ’n‘ Roller nicht mehr auf den Vierer-Beat verzichten, wollten sie überhaupt noch in einer Discothek gespielt werden. Disco hatte die schwarze Musik 2Xi einem ungeheuren Triumph geführt, verständlicherweise kamen viele Anfeindungen aus anderen Lagern, von maschineller Retortenmusik wurde gesprochen, von Einfallslosigkeit etc., hunderte von Vorwürfen wurden gemacht, aber die Musik selbst der Disco-Sound mit seiner Unberechenbarkeit und seiner kreativen Grenzenlosigkeit, führte sie alle ad absurdum.

Neue Nahrung bekamen die bösen Zungen, als 1977 der Disco-Film „Saturday Night Fever“ mit dem genialen Bee Gees-Soundtrack in die Kinos gelangte; zugegeben kein guter Film, aber das erste Dokument, das aufzeigte, daß Disco nunmehr eine Lebensform der Jugend geworden war, sehr zum Groll alter Hippies (und auch neuer Punks).

Wichtig für den Erfolg der Disco-Musik waren in erster Linie die Macher, die Autoren und die Produzenten, weniger die Stars selbst. Gamble und Huff waren die Erfolge der Philadelphia-Acts zu verdanken, der Wahl-Münchener Giorgio Moroder machte mit seinem monotonen, elektronischen Sex-Disco-Sound aus der bis dato erfolglosen Background-Sängerin Donna Summer einen Weltstar (was sie allerdings wohl nie geschafft hätte, wäre sie nicht eine höllisch gute Sängerin). Später demonstrierte sie in den USA mit dem Super-Album BAD GIRLS das wahre Ausmaß ihres Talents.

Als bestes Beispiel „moderner Macher“ gelten Bernard Edwards und Nile Rodgers, die Köpfe der Chic-Organisation. Sie waren schon lange in der Musikszene tätig, hatten unter anderem zu Beginn der Siebziger in Paris einer Glitter-Rock-Band angehört, bis sie 1976 die Gruppe Chic gründeten, der 1977 mit „Dance, Dance, Dance“ der Durchbruch gelang. Es folgten weitere Hits für Chic, etwa „Everybody Dance“ und „Good Times“. Zur gleichen Zeit nahmen sie das ohne Erfolg operierende Schwestern-Quartett Sister Sledge unter ihre Fittiche und bescherten auch ihnen mehrere Super-Hits, u.a. „We Are Family“ und „He’s The Greatest Dancer“, um nur die besten zu nennen.

Ihren kreativen und auch kommerziellen Höhepunkt erreichten Edwards und Rodgers 1980, als sie für Diana Ross das Album DIANA schrieben, einspielten und produzierten, wohl eine der intelligentesten LPs überhaupt, eine sehr unüblich produzierte LP voll unerwarteter Akkord-Folgen (Rodgers‘ Jazz-Vergangenheit), vertrackter Synkopierungen und anderer Kunstgriffe, die einem Verkaufserfolg normalerweise abträglich sind.

Auf andere Weise kamen einige Macher aus den sechziger Jahren zum Erfolg, indem sie nämlich selbst zum Mikrofon griffen. So beispielsweise die Motown-Songwriter Angelo Bond und Johnny Bristol („Hang On In There Baby“) und speziell Lamont Dozier, ein Drittel des Holland-Dozier-Holland-Teams, der zunächst einige LPs machte, bei denen er ganz aufs Schreiben verzichtete, dann aber die schon klassische LP PEDDLIN‘ MUSIC ON THE SDDE herausbrachte, mit dem Mega-Hit „Goin‘ Back To My Roots“, der seitdem (1977) schon diverse Male gecovert wurde (u.a. von Richie Havens).

Auch der aus New Orleans stammende Komponist, Arrangeur und Produzent Allan Toussaint versuchte sich mehrfach als Sänger, allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Mehr dagegen gelang ihm als Arrangeur für seine Hausband The Meters, etwa auf der Dr. John-LP DESITIVE-LY BONNAROO, oder als Hit-Lieierant für andere: „Occapella“ (Manhattan Transfer, Van Dyke Parks), „Riverboat“ (Robert Palmer), „Motion“ (Geoff Muldaur), ,Keep It Together“ (Rufus) u. a.

Wie bereits erwähnt, zerfaserte die schwarze Musik in den Siebzigern in diverse Stilrichtungen. Der zweite Hauptstrang neben Disco hieß Funk. Während Disco-Musik meist sommerlichen Wohlklang und durchgehenden Beat aufwies, so war Funk das genaue Gegenteil, lebte von verschachtelten Rhythmen, schwieriger Synkopierung und verschiedenen gegeneinander laufenden rhythmischen Figuren. Funk-Sänger entstammten weniger der Soul-Tradition, als vielmehr dem harten R&B oder der Soul-Shouter-Schule ä la James Brown, der für viele als „Erfinder“ des Funk gilt.

Zumindest Sylvester Stewart alias Sly Stone muß man ihm an die Seite stellen, jenen ex-DJ, der in den sechzigern die Funk-Vorgaben Browns mit dem Soul Motowns verschmolz und darüberhinaus Rock und Psychedelik beimischte, so daß auch weiße Kids plötzlich Interesse an dieser Musik zeigten. Seine beiden Früh-Siebziger-LPs THERE’S A RIOT GOIN‘ ON und FRESH gerieten ihm so sophisticated wie nie zuvor: mit Rhythmusmaschine garnierter Minimal-Funk, leider bisher einmalig geblieben. Weitere Erfolge blieben aus, Drogenprobleme stellten sich ein, aber dennoch bewahrte Sly Stone seine Fähigkeiten, wie die 79er-Hard-Funk-LP BACK ON THE RIGHT TRACK beweist.

Larry Graham war mehrere Jahre Bassist bei Sly & The Family Stone gewesen, bis er sich 1971 selbständig machte und Graham Central Station gründete. Damit hatte Graham, dem man nachsagt, er habe die slap-bass-Technik erfunden (den knallenden Bass), eine der richtungsweisendsten Funk-Bands überhaupt auf die Beine gestellt. Aufgrund der Tatsache, daß der Rhythmusgruppe von nun an ein größerer Stellenwert zugeschrieben wurde, begannen sich viele junge Schwarze für Bass- und Schlagzeugarbeit zu interessieren; der selbstbewußte Sexist wurde nicht nur von der Basstechnik her ein Vorbild Nicht weniger wichtig für die Entwicklung des Funk aber war George Clinton. Er hatte 1958 die Barbershop-Gruppe The Parliaments gegründet, später aber die Rechte an dem Namen verloren und daher die Band in Parliament umbenannt. Vorher hatte er jedoch die Band Funkadelic formiert und gab abwechselnd auf verschiedenen Isabels Parliament- und Funkadelic-LPs heraus, höchst seltsame Konglomerate aus Hendrix, James Brown und Motown, samtlich mit anderer Besetzung (eigentlich alles Solo-LPs) und mit durchweg geringem kommerziellen Erfolg.

Nach etwa zehn LPs verfügte Clinton über einen festen Musiker-Stamm, zu dem Bernie Worrell, Gary Shider, Eddie Hazel, Fuzzy Haskins und der ex-James Brown-Bassist William „Bootsy“ Collins gehörten. Clinton (alias Uncle Jam alias Sir Nose) predigte konsequent seine Anti-Disco-Ideologie, nannte seine Musik P-Funk Lpure, uncut funk“), geriet zum Kult-Helden und 1978 zum Superstar, als die Parliament-LP MOTOR BOOTY AFFAIR und die Funkadelic-LP ONE NATION UNDER A GROOVE gemeinsam die US-Charts aufrollten. Parallel dazu hatte Bootsy Collins noch mit seiner eigenen Gruppe Bootsy’s Rubber Band Erfolg.

1980 wurde es dann relativ still um die P-Funk-Gang (die sich inzwischen um die Bands The Horny Horns, The Brides of Funkenstein und Parlet erweitert hatte), da sich Clinton, der jede seiner Bands bei einem anderen Label unterbringen wollte, in einem Wirrwarr von Prozessen verfangen hatte.

Mit Funk und Disco hatten also zwei neue Metastasen schwarzer Musik die Regie übernommen. Für die meisten Soul-Stars aus den Sechzigern brachen schwere Zeiten an: Entweder man sprang auf den Disco-Zug oder man ging unter, wie etwa Wilson Pickett, Percy Sledge, Arthur Conley, Martha Reeves, Sam & Dave, Ike & Tina Turner (die sich auch privat trennten). Auch James Brown hatte bis 1979erheblich zu kämpfen: Seine Platten verkauften sich so schlecht, daß er beinahe seinen Vertrag verlor.

Andere Alt-Stars paßten sich dem aktuellen Stil an, wie etwa die Four Tops, die nach ihrem Weggang von Tamla Motown unter der Regie von Dennis Lambert und Brian Potter noch zwei ausgezeichnete Alben (KEEPER OF THE CASTLE und MAIN STREET PEOPLE) aufnehmen konnten. Seitdem tummeln sie sich im Disco-Mittelfeld (kommerziell wie künstlerisch).

Etwas mehr Glück hatten die Isley Brothers, die bei Motown ohnehin nie zu bester Form aufgelaufen waren und Ende der siebziger Jahre mit drei zusätzlichen Brüdern und Hits wie „Go All The Way“ und „Inside You“ plötzlich wieder an der Spitze der Charts standen; mit einiger Berechtigung, denn ihr Vokalsound ist noch immer einmalig und die jüngeren Brüder Ernie und Marvin Isley bilden eine ausgezeichnete Funk-Backing-Band.

Tamla Motown hatte den Abgang von Holland-Dozier-Holland zu verkraften und mit der Konkurrenz aus Philadelphia fertig zu werden. Ersteres führte dazu, daß viele der etablierten Motown-Stars nun selbst verstärkt die Zügel in die Hand nahmen (etwa Stevie Wonder, Marvin Gaye und Smokey Robinson). Außerdem verzeichnete Motown von allen schwarzen Firmen die größte musikalische Bandbreite, die größte Toleranz (wo sonst hatte man Norman Whitfield so ungestört experimentieren lassen?) und die beste Nachwuchsarbeit.

Ein Ersatz für H-D-H wurde bewußt nicht gesucht, man wandte sich stattdessen an unabhängige Produktionsfirmen und -teams, was weiterhin stilistische Vielfalt garantierte. So kümmerte sich z.B. Norman Whitfield um die Temptations und um Rare Earth, Nickolas Ashford und Valerie Simpson übernahmen Diana Ross (mit sehr großem Erfolg), während sich Stevie Wonder und Marvin Gaye emanzipierten und 1972 mit richtungsweisenden Eigenproduktionen brillierten: Stevie Wonder mit TALKING BOOK und Marvin Gaye mit WHATS GOING ON.

Einen Erfolgsgaranten besaßen die Motown-Manager ferner in Smokey Robinson, der auch in den Siebzigern, nach der Trennung von den Miracles, regelmäßig Super-Hits veröffentlichte: „When You Came“, „Baby That’s Backatcha“, „Cruisin „, und 1981 „Being With You“. Robinson gilt ohnehin als Phänomen. Er ist zweifellos einer der größten schwarzen Songwriter überhaupt und, wie die Gegenwart beweist, fest entschlossen, dies auch zu bleiben: Seine heutigen Kompositionen sind nicht weniger genial als jene Songs, die vor 20 Jahren entstanden.

Eine ähnliche Leistung vollbrachte nur einer: Curtis Mayfield, der noch als Teenager die Impressions gründete, praktisch ihr gesamtes Repertoire schrieb, immerhin ein Dutzend LPs mit ihnen aufnahm (für mich die besten Soul-LPs in den Sechzigern überhaupt) und auch nicht schwächer wurde, als er 1971 seine Solokarriere startete. Seine Liebesballaden sind unerreicht, genau wie seine unnachahmliche Falsett-Stimme. Die Soundtracks SHORT EYES, CLAUDINE (von Gladys Knight & The Pips aufgenommen) und allen voran SUPER FLY verkauften sich millionenfach, außerdem lieferte er der „Black. Power‘-Bewegung mit „Move On Up“ und „We’re A Winner“ ihre beiden wichtigsten Hvmnen.

Wie bereits erwähnt, hatten jedoch die meisten Größen der Sechziger Schwierigkeiten, im folgenden Jahrzehnt am Bau zu bleiben. Stattdessen folgte eine neue Garde, meist Leute, die nicht nur singen konnten oder über genügend Bühnenpersönlichkeit verfügten, sondern durchaus auch das Rüstzeug dazu hatten, sich ohne die dirigierende Unterstützung einer Platten-oder Produkrionsfirma allein zu behaupten. Etwa der verrückte Hamilton Bohannon, Großmeister der Monotonie, oder AI Green, ein fantastischer Soul-Sänger der alten MemphisSchule, der etwas voreilig als Otis Redding-Nachiolger gefeiert wurde und ein sehr eindringlicher Balladensanger war, jedoch unter den Low Budget-Produktionen des Hi-Labels zu leiden hatte.

Ende der 70er tauchte noch Rick James auf, ein Funk-Bassist, -Autor und -Sänger mit Rock -Vergangenheit, dem es mit seiner Fusion sämtlicher publikumsträchtiger Pop-Stile der Siebziger gelang, binnen kürzester Zeit zum Superstar aufzusteigen (bereits seine erste LP, COME GET IT, erhielt doppeltes Platin).

England bot Millie Jackson auf, eine Sängerin mit männlich-tiefer Stimme und überraschend eindeutigen Sex-Texten (fast immer sind sonst Frauen die Opfer des Sexismus in der schwarzen Musik).

Nicht verschweigen wollen wir die wenigen neuen Vokal-Stars: den aus der Gamble/Huff-Fabrik kommenden Teddy Pendergrass, den der „Rolling Stone“

eis „das Sex-Symbol nach James Brown und AI Green“ feierte, der jedoch außerhalb der USA fast überhaupt keine Platten verkaufte, obwohl seine Mischung aus Sex-Daddy a la Barry White und keuchendem Funk-Shouter vom Schlage James Browns auch eher dünnes Material noch interessant machen kann; die Sängerin Thelma Houston, Motowns einzigen Disco-Star, die mit „Don’t Leave Me This Way“ einen Mega-Hit zu verbuchen hatte; und schließlich auch noch die einstige Rufus-Sängerin Chaka Khan, eine der besten Stimmen, die die USA in den Siebzigern hervorgebracht haben und die besonders nach ihrer Trennung von Rufus unter der Regie hochkarätiger Autoren und Produzenten eine Reihe ausgezeichneter Alben veröffentlichte.

Ansonsten dominierten während der siebziger Jahre vor allem die Bands. Ein Novum auf der Soul-Szenerie, denn bisher hatte es zwar diverse Gesangsformationen gegeben, aber kaum komplette Gruppen. Zu den ersten gehörten Sly & The Family Stone und The Watts 103rd Street Rhythm Band (eine Bigband, aus der der Wunder-Drummer James Gadson und der spätere Earth, Wind & Fire-Gitarrist AI McKay hervorgingen). Die ersten Bandgründungen standen noch unter dem Jazz-Rock-Einfluß: Man wollte Soul und Rock mit jazzigen Bläsersätzen garnieren und es dann als eine Fusion aus Jazz und Rock deklarieren.

Diese Verfahrensweise prägte unter anderem zunächst auch eine der erfolgreichsten und besten Bands der 70er-Jahre: Earth, Wind & Fire. Gegründet wurden EW&F von dem Drummer Maurice White, der schon für John Coltrane, Chuck Berry und diverse Motown-Acts getrommelt hatte. Zwei LPs lang versuchte man sich eher glücklos mit Mischungen aus Soul-Balladen und Free-Jazz, dann wechselte White die Besetzung, unterschrieb mit neuem Konzept bei einer anderen Plattenfirma und präsentierte alsbald den veränderten EW&F-Stil: jene bis heute so erfolgreiche Mischung aus Funk-Soul und lateinamerikanischen Melodien, angereichert mit präzisen Bläsersätzen und ebensolchen Kopfstimmen-Chören.

Ein ähnlich starres, doch erfolgreicheres Konzept verfolgten die Commodores, nach Rick James die große Neuentdeckung von Tamla Motown. Ihre erste LP MACHINE GUN war tatsächlich eine kleine Sensation: beinharter, sehr kompliziert konstruierter Funk, mit Gitarren- und Keyboards-Betonung, durchweg höchst ungewohnt. Mit der Zeit wandten sich die Commodores jedoch immer stärker dem seichten US-Mainstream-Pop zu und degenerierten gegen Ende der Siebziger zu Schnulzenlieferanten für die US-Charts.

Wie Earth, Wind & Fire stammte auch die (allerdings mehrheitlich aus Weißen bestehende) Band Tower Of Power aus der Jazzrock-Tradition. Ihr wichtigster Teil war die Horn-Sektion, in der ausschließlich hochkarätige Jazzer wirkten und die auch häufig für andere Produktion ausgeliehen wurde. Hinzu kamen die Begabung des Songwriter-Duos Steve Kupka/Emilio Castillo und wechselnde, z. T. exzellente Sänger (etwa Lenny Williams).

Die Band War wurde vom ex-Animals-Sänger Eric Burdon als Begleitband verpflichtet. Aber erst nach der Trennung von Burdon konnte sie ihre wahren Fähigkeiten entfalten und hatte viele Hits, z. T. mit politischen Texten, wie „Cisco Kid“ und „The World Is A Ghetto“. Skurriles Element bei War: ein dänischer Mundharmonikaspieler namens Lee Oscar.

Mother’s Finest hatten wahrhaft Neues zu bieten, nämlich eine äußerst energiereiche Mixtur aus Heavy Metal und Funk. Diese Kombination reichte immerhin für diverse explosive LPs und einen vielbejubelten Auftritt in der Rocknacht des WDR. Mittlerweile sind jedoch auch Mother’s Finest leistungsmäßig abgestiegen – die letzte LP IRON AGE war nicht mehr als eine stumpfe Hard Rock-Platte.

Die englische Band Heatwave hatte das Glück, mit Rod Temperton einen hochbegabten Songwriter zu besitzen. Sein Material war für einige Hits gut, z. B. „Boogie Nights“ (1976). Temperton setzte sich später in die USA ab, wo er mittlerweile einer der gefragtesten Songautoren ist. Michael Jackson, George Benson und Herbie Hancock gehören zu seinen Abnehmern.

Michael Jackson war noch vor seinem Stimmbruch Frontmann (bzw. -Kind) der Jackson 5, die sich später in The Jacksons umbenannten und die letzte der neuen Bands sind, die hier erwähnt werden sollen. In ihren Reihen befanden sich zwei hochklassige Solo-Stars; neben Michael, dem mit der von Quincy Jones produzierten LP OFF THE WALL der endgültige Durchbruch gelang, noch sein Bruder Jermaine Jackson. Auch gemeinsam konnten sie begeistern und gehören dank ihrer Jugend zu einem der zukunftsträchtigsten Funk-Acts der USA.

Durch den Erfolg von Funk und Disco wurden auch zahlreiche Musiker, sonst eher dem Jazz-Lager zugerechnet, dazu verleitet, Funkbzw. Disco-Platten aufzunehmen: Donald Byrd, Herbie Hancock, George Duke, Lenny White, Norman Connors und viele andere. Fantastische Polit-Funk-LPs machte der Jazz-Sänger Gil Scort-Heron unter der Anleitung der Elektroniker Malcolm Cecil und Robert Margouleff („Tonto’s Expanding Head Band“), mit denen auch Stevie Wonder zusammengearbeitet hat. Zumindest seinen Reagan-Rap „B-Movie“ sollte man gehört haben.

Aus Südafrika stammt der Sänger und Trompeter Hugh Masekela, der seine Karriere Mitte der Sechziger mit Trompeten-Instrumental-Versionen von Top Ten-Hits startete und mit einer Fassung von „Up, Up And Away“ auch in die Charts gelangte. Später besann er sich seines Ursprungs, veröffentlichte auf Tamla Motown mehrere LPs mit Afro-Soul und wagte einige Experimente, indem er zum Beispiel mit dem ebenfalls aus Südafrika kommenden Saxofonisten Dudu Pukwana das Doppelalbum HOME IST WHERE THE MUSIC IS einspielte, mit beinahe avantgardistischem Afro-Jazz. Gegen Ende der Siebziger hatte Masekela seine beste Zeit und nahm mit fester Band für das Label Casablanca diverse LPs mit Percussions-lastigem Afro-Funk auf.

Unbedingt erwähnt werden muß ferner Johnny Guitar Watson, ein erfahrener R&B-Musiker, der sich bereits in den Fünfzigern im Rahmen der Johnny Otis-Show seine ersten Sporen verdient hatte, und der – mit Ausnahme der Schlagzeug-Parts – seine Projekte stets im Alleingang fertigstellte. Leider fiel ihm nach „I Need It“ (eine geniale Jazz-Disco-Fusion, 1976) nichts annähernd so Aufregendes mehr ein. Zu würdigen bleibt allerdings in der Tat sein einmaliger, unverwechselbarer Gitarrensound.

Eine relativ wichtige Rolle als Bindeglied zwischen elitärem Jazz und dem Straßen-Soul spielten in den Siebzigern Musiker aus dem Kommerz-Jazz-Lager, wie z. B. die Crusaders und Grover Washington. Letzterer produziert die entspannendsten Saxofon-Muzak-LPs, die man sich vorstellen kann, während die Crusaders nicht nur als Leih-Musiker auf unzähligen Disco-LPs mitwirkten, sondern mit „Street Life“ 1979 auch einen eigenen (sehr hübschen) Disco-Hit verbuchten.

‚Nach dem Abflauen der Disco-Bewegung bzw. ihrem Aufgehen in die Pop-Musik, drohte die schwarze Musik zu stagnieren. Es fehlten die neuen Trends, die bewegenden Ideen, wie sie die weiße Musik von der „neuen Welle“ zugeführt bekam, die sich auf ihrem kreativen Höhepunkt befand. Zu Beginn der achtziger Jahre regierte auf dem Gebiet der schwarzen Musik die Langeweile. In den Metropolen der USA blüht die „12-inch-Kultur“, hinter der ein großes schöpferisches Potential zu stecken scheint (das jedoch aus der Distanz nur schwer einzuschätzen ist). Ständig entstehen neue Labels (Westend, Moby Dick, Desüny, Sleeping Bag, Goldcoast etc.), ständig debütieren neu formierte Bands, etwa Love International, Dinosaur L, The Supa Duds und Empire. Gemeinsam ist allen diesen Acts – und auch einige ältere Künstler orientieren sich in diese Richtung – ein großes Interesse an Elektronik und Sound-Effekten, an Dub-Techniken und Gesangs-Verfremdungen.

Ebenfalls neue Impulse gehen von der Rap-Bewegung aus, die sich in Europa erst 1979 mit „Rapper’s Delight“ (Sugar Hill Gang) bemerkbar machte. In Jamaika allerdings wird „Rapping“ von den dortigen DJs unter dem Begriff „Toasting“ schon seit längerer Zeit gepflegt. In den USA kamen wenig später noch die Spielereien mit verschiedenen, gleichzeitig laufenden Platten hinzu; von den Underground-DJs erdacht und von Grandmaster Flash in höchster Perfektion auf „The Adventures Of Grandmaster Flash On The Wheels Of Steel“ vollführt.

Eine wichtige Grundvoraussetzung für die Weiterentwicklung der Soul-Musik scheint letztlich wieder vorhanden: ein blühender Untergrund, an dem jeder teilhaben kann. Ein Untergrund, aus dem einstmals auch Motown, Stax und andere hervorgegangen sind.

Abschließend drei Acts, die sich eher außerhalb der erwähnten Tendenzen bewegen: Die Band Defunkt um Joe Bowie, Sohn des Free-Jazz-Avantgardisten Lester Bowie (Art Ensemble Of Chicago), deren Funk Reminiszenzen an die frühen siebziger Jahre aufweist, jedoch mit einer ungewöhnlichen Jazz-Neigung. Besonders als Live-Act wissen Defunkt zu begeistern (ihre beiden Studio-LPs können dagegen nicht rundum überzeugen).

Prince ist ein Multi-Talent, das seine LPs ohne Begleitmusiker einzuspielen pflegt und einerseits den konsequentesten Sex-Funk („Sexuality Js all I ever need“), andererseits aber auch soulige Balladen („Gotta Broken Heart Again“) beherrscht.

Vorläufiger Schlußpunkt: Die Band Gammarock um den in München lebenden Patrick Gammon (ebenfalls ein Multitalent: Sänger, Keyboard-Spieler, Komponist), deren hervorragende Debüt-LP eine neuartige Rock-Funk-Mischung präsentiert, garniert mit Latino-Balladen und einer Menge Motown-Soul.

All diese neuen Erscheinungen auf der Black Music-Szenerie berechtigen zu der Hoffnung, die Achtziger könnten im Zeichen der schwarzen Musik stehen wie einst die Siebziger. Schließlich begannen auch sie mit Stagnation und Richtungslosigkeit, um danach umso heftiger zu explodieren …