Soulmates Never Die DVD – Placebo


Als ich eines Abends vor ein paar Jahren die Brixton Academy verließ, fragte ich mich, ob ich gerade die Zukunft des Rock’n’Roll gesehen hatte. Nie im Leben, dachte ich damals: Euer Rock’n’Roll hat seit den Sex Pistots keine Zukunft mehr. Nur noch eine Vergangenheit, die uns in leicht veränderter Verpackung immer wieder vorgesetzt wird. Ich erinnerte mich, wann ich dieses Gefühl zuletzt hatte: 1977 bis ’79, als die Popmusik plötzlich (wieder) eine Zukunft hatte – bevor das Wort durch seinen Missbrauch als Synonym für die drögen Alternativlosigkeits-Einpeitschungen der Wachstumsreligion vollständig diskreditiert wurde. Placebo brachen über die Welt herein wie das, was man früher so nannte: als bräche die Zeitachse auseinander – ein Fenster öffnete sich, und für einen kurzen Moment war ich dem grellen Licht, der brodelnden Dunkelheit und dem glühend kalten Wind von übermorgen ausgesetzt. In Wirklichkeit waren die ruppigen, glaskantigen Melodien, die Magmalawine brodelnder Akkordüberschläge etwas anderes: die Explosion der Gegenwart – ein Ozean von kochendem weißem Licht; und wer jetzt weiß, wie alles weitergeht, dachte ich, der lügt. Fünf Jahre später sind Placebo keine Außenseiter, keine popmusikalischen Guerillakämpfer mehr, sondern eine perfekt funktionierende Millionen-Maschine, wenngleich nach wie vor vom „Mainstream“ der Einluller und Replikanten so weit entfernt wie Zugabengast Frank Black von seiner einstigen Pixies-Magie. Aber sie wirkt noch, die geniale Mischung aus Gegenwarts-Punk-Glam, anarchosexueller Queen-Arroganz, Raserei, Verzweiflung und romantischer Leere, die ihre besten Songs verkörpern wie nichts sonst: selbst aus der ironischen Distanz elektronischer Konservierung und nostalgischer Anflüge wird man gut eineinhalb Stunden lang Teil einer hysterischen 18.000-Masse und glaubt, vor Energie zu bersten. Das kann man nicht erklären, auch nicht in 25 zusätzlichen, spannend anzusehenden Minuten Tour-Dokumentation von der anderen Seite der Bühne.