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„Spider-Man: A New Universe“-Kritik: Jeder kann ein Held sein, sogar ein Schwein


Gleich sechs verschiedene Superhelden haben hier Spinnenkräfte und müssen gemeinsam gegen das Böse kämpfen. Dass sich der „Spider-Man“-Animationsfilm trotzdem nicht in wirre Action verliert, liegt an der smarten Geschichte, die auch tragische Momente und sogar den Tod in den Vordergrund rückt.

Am 12. November starb Stan Lee, Erfinder so vieler Marvel-Helden, im Alter von 95 Jahren. Und selbst wenn Lee im vergangenen Jahrzehnt ausreichend Genugtuung durch die Leinwand-Präsenz seiner Figuren erfahren haben dürfte, wünscht man ihm nachträglich doch, dass er noch die Chance hatte, sich „Spider-Man: A New Universe“ anzusehen. Denn diese x-te Adaption von Spider-Man, Lees berühmtester Figur, fängt nicht nur die Essenz des Helden ein, sondern auch die des gesamten Mediums Comic, dem Stan Lee sich Zeit seines Lebens verschrieben hat – obwohl er eigentlich Schriftsteller werden wollte.

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In den Comic-Heften gibt es schon längst mehrere Inkarnationen der Figur Spider-Man, im Kino wurde seit der Jahrtausendwende trotzdem immer wieder Peter Parker von verschiedenen Schauspielern verkörpert. Erst von Tobey Maguire, dann von Andrew Garfield und aktuell von Tom Holland. „Langweilig“, dachten sich gleich drei Regisseure sowie eine kreative Hälfte des LEGO-Films und machten sich auf die Suche nach neuen Helden für das rote Kostüm.

Sterben in bunter Farbpalette

Sie wurden fündig: Miles Morales ist die Hauptfigur in „Spider-Man: A New Universe“. Der Teenager ist in den USA schon längst als neuer Spinnenmann etabliert, er ist schwarz und hat mittelamerikanische Wurzeln. Im ersten Akt des Films wird er (natürlich) von einer genmanipulierten Spinne gebissen und entdeckt seine Superkräfte, kurz danach stolpert er in einen Kampf zwischen Peter Parker und einem seiner Gegner. Parker verspricht Miles, ihn bei der Ausbildung zum Superhelden zu helfen, doch daraus wird nichts. Denn Peter Parker stirbt, wird vom sinistren Kingpin, der ein Dimensionsportal in New York öffnen möchte, erschlagen. Es folgen Szenen von Parkers Beerdigung (inklusive Ansprache von Mary Jane) und schockierte New Yorker Bürger, die jetzt erst die Heldentaten des jungen Mannes aus Queens zu würdigen wissen.

Miles Morales ist der neue „Spider-Man“

Peter Parker stirbt. Und diese Entscheidung ist nichts anderes als ein kleiner Geniestreich. „A New Universe“ etabliert sich durch die Tragödie im ersten Akt als ein Film mit ernsthaften Konsequenzen, egal wie bunt die hier gezeigte Welt auch sein mag. Des Weiteren spielen die drei Regisseure mit dem Wissen, das die Zuschauer bereits über die Figur Spider-Man haben. Peter Parker scheint ein Wiedergänger von Tobey Maguires Version zu sein, es gibt sogar einige Anspielungen auf die Filme von Sam Raimi. In dessen Trilogie wurde zwar immer gesagt, dass theoretisch jeder zu Spider-Man werden könnte, Peter Parker war aber immerzu der einzige Held und der Mittelpunkt der Reihe.

Groteske Comic-Geschichtsstunde

In „A New Universe“ wird Peter Parker nun aus dem Mittelpunkt verdrängt, bis zu seinem Tod gibt es ja sogar zwei kostümierte Helden mit ähnlichen Fähigkeiten. Und sobald besagtes Dimensionsportal aktiviert wird, kommt es noch wilder: Gleich fünf weitere Spider-Leute stellen sich vor. Darunter ein sogenannter Peter B. Parker, der in einer alternativen Dimension keine Lust mehr auf den Job als Retter hat und sich lieber die bequeme Jogginghose statt dem engen Kostüm anzieht. Und der von Mary Jane verlassen wurde, weil er aufgrund seiner gefährlichen Missionen keine Kinder in die Welt setzen würde – ein weiteres tieftrauriges und sehr erwachsenes Motiv in einem halbwegs kinderfreundlichen Animationsfilm.

Diverse Spider-Leute bevölkern „A New Universe“

Zur Auflockerung kommen zum Glück noch Spider-Woman (Gwen Stacey) und einige komplett irre Varianten der Figur dazu: Spider-Man Noir stammt aus dem Jahr 1933 und prügelt sich eigentlich durch farblose Krimis, Peter Porker ist ein kleines Schwein, das unter dem Namen „Spider-Ham“ auf Verbrecherjagd geht. Als Krönung schaut noch Peni Parker vorbei, die in eine radioaktive Spinne verliebt ist, die im Kampfroboter ihres toten Vaters lebt. Die einzelnen Spider-Leute sind genauso bunt zusammengewürfelt wie der visuelle Stil des Films, der schlichtweg fantastisch aussieht – sowohl in den düsteren Ecken und den grellbunten Setpieces, in denen sich die Helden und Schurken passend zu HipHop-Beats bewegen.

Der Reiz an „A New Universe“ besteht darin, dass diese Figuren nicht jetzt erst in den Köpfen von verzweifelten Studiobossen (immerhin ist der Film von Sony) entstanden sind, sondern schon seit Jahren in irgendwelchen Comic-Heften präsent sind. In den Heften sind schon seit Jahrzehnten wirre Crossover und Besuche in verschrobenen Parallel-Universen möglich, da darf man das ruhig auch auf der Leinwand wagen. Denn immerhin wäre der Superhelden-Hype schon längst vorbei, wenn sich das Genre nicht immer mal wieder etwas neu erfinden würde, nicht irgendein Studio immer mal wieder eine jenseitige Idee durchgehen ließe. Im Optimalfall kommt ein Film wie dieser hier heraus: einer, der den heiligen Ernst des Genres einfängt und den Figuren trotzdem Momente lässt, um sich selbst über das Geschehen zu wundern. Einer, in dem selbst Übermenschen verletzlich sind und der – so wie kein Superheldenfilm zuvor – an die Botschaft erinnert, mit der Stan Lee Spider-Man zur Ikone gemacht hat: Jeder kann ein Held sein. Ganz bestimmt sogar.

„Spider-Man: A New Universe“ startet am 13. Dezember in den deutschen Kinos. 

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