Stan Ridgway


Wer den schwarzgekleideten Kalifornier an seinem 87er Hit "Camouflage" messen will, liegt völlig daneben. Daß seine Psycho-Dramen in den Charts landen, hält er selbst für absurd. Und daß er obendrein noch den Popstar mimen muB, macht seine Situation vollends schizophren. Steve Lake sprach mit beiden.

Wollust und Mord und Kriminalität ziehen uns an, weil wir alle diesen Raubtier-Instinkt in uns tragen. Wir kontrollieren ihn, weil wir ja ,zivilisiert‘ sind, aber wir können ihn nie ganz loswerden. Er ist immer du und wartet auf seine Gelegenheit.

Das ist ein Thema, auf das ich in meinen Songs immer wieder zurückkomme, dieser Widerstreit unterschiedlicher Emotionen in uns. Man könnte sagen, daß alle meine Songs mit einer Art spirituellen Landschaft zu tun haben, in der die dunkleren Farben vorherrschen.“

Bei Stan Ridgway (sein Name wurde in der Bayrischen TV-Sendung „Live aus dem Schlachthof gleich dreimal falsch geschrieben – kein ,e‘ bitte) herrschen heute ebenfalls die dunkleren Farben vor. Schwarze Jacke, schwarzes, bis oben zugeknöpftes Hemd, schwarze Hosen, Stiefel, Weste, schwarze Sonnenbrille um den Hals, schwarze Locken mit vereinzelten grauen Sprenkeln. Ich frage mich, an wen mich dieser Anblick erinnert, und dann fällt der Groschen: Dylan. 1965. Wäre der Autor von „Bringing It All Back Home“ ein wenig würdevoller erwachsen geworden, hätte er vielleicht so ausgesehen wie Ridgway heute.

Die Ähnlichkeit ist kein Zufall: Dylan ist immer noch ein Vorbild für den Ex-Sänger von Wall Of Voodoo.“Er ist so ziemlich der Einzige, bei dem ich nie das Interesse verloren habe. , Tweeter And The Monkey Man‘ auf dem Wilburys-Album. Kennst du das? Ich glaube, er meint Springsteen. (Lacht) Yeah, Dylan hat keine Skrupel, gemein zu sein. Er sticht zu und dreht das Messer noch ein paar Mal um. Solche Leute habe ich schon immer bewundert. „

Er sagt das mit einem freundlichen Lächeln. Ridgway ist ein umgänglicher, gesprächiger Mann, der anscheinend sowohl in seinen Songs als auch im Gespräch Dinge einfach deswegen sagt, um auf diese Weise zu erfahren, wie sie klingen, ohne deswegen schon gleich kontroverse Absichten zu verfolgen.

„Ich habe keine Message. Wenn du eine Message willst, probier ’s mit dem Fax-Gerät“, knurrt er in gespielter Entrüstung und parodiert damit das berühmte Bonmot des Film-Zaren Sam Goldwyn („Eine Message wollt ihr?“ Versucht’s im Telegrafen-Amt“!) „Ich schreibe eigentlich, um herauszufinden, worüber um Himmels willen ich schreibe. Seltsam, nicht wahr – jetzt sitze ich hier und rede mit dir, um herauszufinden, worüber ich rede. Und dann marschierst du zu deiner Schreibmaschine und sagst:, Was Ridgway uns sagen will, ist …“

Ich will dich nicht beleidigen, aber denkst du nicht, daß du einen ziemlich sinnlosen Beruf hast?“

Aber sicher.

„Ich meine, mir dabei zuzuhören, wie ich versuche, Dinge zu erklären, die ich bereits auf der Platte gesagt habe. Wirkt das nicht ein bißchen wie Second Hand?“

Absolut. Ridgway lacht und schwadroniert weiter. „Ich sag‘ dir, warum ich schreibe: Wenn du in Los Angeles lebst, von den Medien unaufhörlich mit einer Flut von Bildern bombardiert wirst und ständig diese unglaubliche Vielfalt des Lebens vor Augen hast, mußt du reagieren, wenn du dich nicht wie eine Art Voyeur fühlen willst. Ich mag nicht nur passiv leben, verstehst du. Ich will auch in den Strom pinkeln. Also stehe ich hier und mache einen auf Singer/Songwriter.“

Neuerliches Gegacker. Die Songs auf MOSQUITOS („Eigentlich sollte die Platte ,Agriculture‘ heißen, aber Mosquitos‘ gefiel mir dann doch besser“), Ridgways zweitem Solo-Album, beinhalten eine ganze Palette von Stimmungen – von ein wenig bis sehr unglücklich. “ Wie Orson Welles schon sagte: Wenn eine Geschichte ein Happy-End hat, ist sie noch nicht zu Ende. Die meisten Sachen enden übel.“

Aber die musikalischen Feinheiten der Platte verleihen dem Ganzen oft ein ironisches Ambiente. „,Peg And Pete And Me‘ “ mag, laut Stan, „ein Ausbruch sexuellen Schuldbewußtseins“ sein, aber die Klangfarben von Bouzouki, Akkordeon und Harmonika verleihen dem Stück einen stark filmischen Charakter, tauchen es ins Licht einer undefinierbaren Folk-Musik.

Obwohl Wall Of Voodoo als Punk-Band ins Leben gerufen wurde – 1977, wann sonst? – war Ridgways musikalischer Background um einiges vielseitiger als der seiner Zeitgenossen. Bereits in frühen Teenager-Jahren spielte er Gitarre. Klavier und Mundharmonika in zahlreichen Blues-Bands. Später studierte er freie Improvisation bei Bobby Bradford, ehemals Trompeter in Ornette Colemans Band.

„Ich habe zwei Seelen. Eine rein musikalische und eine, die eher auf Sprache orientiert ist. Uch habe oft das Gefühl, daß ich in beide Richtungen gehen könnte. Das Projekt MOSQUITOS driftete ständig in andere Bereiche ab. Ganz am Anfang war es ein Drehbuch, dann ein Instrumental-Album. Ich durchwandere diese verschiedenen Bereiche, bis sich alles allmählich in Songs auflöst.“ Diese Fähigkeit, sich alle Türen offen zu halten, sagt er, war das Wichtigste, das er in Bradfords Improvisations-Stunden gelernt hat.

„Popmusik? Im Radio? Machst du Witze? Nein, das hör‘ ich mir nicht an. Heutzutage Pop zu hören ist ungefähr dasselbe, wie das Wall Street Journal zu lesen: Alles, worauf sie spekulieren, ist Erfolg, so schnell wie möglich soviel Geld wie möglich zu machen.

Zu Studienzwecken kann man sich das ja vielleicht anhören, aber es hat überhaupt nichts mit dem zu tun, was mich ursprünglich einmal zur Musik gezogen hat… „

Nicht, daß er etwas gegen Erfolg hat, wenn er sich unerwartet einstellt. Niemand, am wenigsten Stans alte Firma I.R.S., hatte erwartet, daß „Camouflage“, eine Single-Auskopplung aus THE BIG HEAT, überall auf den vorderen Plätzen der Hitlisten landen würde, aber genau das passierte. „Bei meiner Arbeitsweise kann man so etwas nicht voraussagen. Wenn es passiert, ist es wie ein Geschenk, aber man kann sich nicht darauf verlassen.

Ich bin auch ziemlich skeptisch, was diese Reifen anbetrifft, durch die wir Musiker springen müssen, um unsere Lieder zu promoten. Ich mag zum Beispiel Videos nicht besonders. Ich habe was dagegen, einem Song alles Geheimnisvolle zu nehmen und irgendeinen simplen Plot draufzuklatschen. Ich lehne es ab, einen Song zu einem Werbespot zu reduzieren.“

Er seufzt. „Natürlich gibt es gute und schlechte Werbung. Aber ich denke doch, die Verantwortlichen in der Plattenindustrie sollten allmählich lernen, zur Abwechslung mal vorrangig das zu promoten und zu verkaufen, was wir produzieren, anstatt uns mit ihren Launen und Ticks, an die wir uns ständig anpassen sollen, verrückt zu machen.“

Ridgways Manager erscheint in der Tür. Stan muß schleunigst in die Maske, um anschließend das neue Video zu „Calling Out To Carol“ im Fernsehen zu präsentieren.

„Siehst du jetzt, was ich meine?“

Er steht auf, leicht verwirrt. Wie konnte ein nichtsahnender Mundharmonika-Spieler bloß in so eine Sache hineingeraten?