Steinige Zeiten


Ein Bahnsteig in Dartford,ein Keller im Londoner Westen, ein Landhaus in Sussex. Alles Orte, die zunächst ohne Bedeutung sind.Tatsächlich aber handelt es sich dabei um historische Stätten aus der Steinzeit der Rolling Stones.

Die Blues Kids von Dortford

Dartford, eine triste Schlafstadt vor den Toren Londons. Im Oktober i960 treffen sich bei Gleis 2 des örtlichen Bahnhofs (rechts) zwei mehr oder weniger typisch britische Burschen: Mick Jagger, damals 17, und Keith Richards, 16 (links je ein Jugendbildnis der beiden). Mick will zur London School Of Economics, Keith muß in die Sidcup Art School. Die beiden kennen sich schon aus dem Sandkasten, haben sich aber lange nicht gesehen. Richards entdeckt unter Jaggers Arm , einen Stapel Bluesplatten, worüber die beiden prompt ins Fachsimpeln geraten. Ein Gespräch, das den Beginn einer einmaligen Freundschaft markiert – und die Geburtsstunde der Rolling Stones. Rechts: In der linken Hälfte dieses Doppelhauses in Wartham Close lebten die Jaggers.

Blues auf der Kellerbühne

London, Ealing Broadway. Eine runtergekommene Treppe (rechts) führt ins Souterrain. Hier eröffnet am 17. März 1962 der Ealing Club. Unter den Gästen: Mick & Keith. Die beiden freunden sich mit Alexis Korner von Blues Incorporated an und treten gelegentlich mit ihm auf. Im Ealing Club treffen Mick und Keith aber auch einen jungen Mann namens Brian Jones. Mit ihm ziehen sie in Chelsea in den 1. Stock von Edith Crove 102 (l.). Oben: Blues Incorporated mit Dave Stevens, Dick Heckstall-Smith, Alexis Korner, Jack Bruce, Mick Jagger & Cyril Davies (v. l.).

Vom Marquee in die Welt

12. Juli 1962: Im Marquee Club, Oxford Street 165, treten Mick, Keith & Brian zum erstenmal öffentlich als Rolling Stones auf. Damals gehören noch Ian Stewart (Piano), Dick Taylor (Bass; später Pretty Things) und Mick Avory (Drums; später Kinks) zur Gruppe. Das erste feste Lineup der Stones steht erst zu Beginn des Jahres 1963 fest. Im Marquee tritt die Band (noch mit Ian Stewart) letztmalig am 31. Januar auf (links). Etwas mehr als vier Monate später, am 7. Juni, erscheint die erste Single, „Come On“. Und heute? Den alten Marquee gibt’s längst nicht mehr. Inzwischen residiert dort die Filiale einer englischen Finanzierungsgesellschaft (unten).

Ein Hous wird zum Mythos

1966 sind die Stones neben den Beatles die erfolgreichste Band der Welt. Und sie haben Geld. Keith Richards kauft im Mai das Anwesen „Redlands“ (o.) in West Wittering, Sussex. Schnell entwickelt sich das Domizil zum beliebten Ausflugsziel der britischen Popelite. Bei einer Party am 12. Februar 1967, an der auch George Harrison nebst Gemahlin Patti teilnimmt, schlägt die Polizei bei einer Drogenrazzia zu. In Jaggers Jackett finden die Fahnder vier Benzedrin-Tabletten. Und Jagger-Freundin Marianne Faithful soll – Skandal! – nichts als einen Fellteppich getragen haben. Bei der folgenden Gerichtsverhandlung werden Jagger und Richards (letzterem wird vorgeworfen, in seinem Haus den Genuß von Marihuana geduldet zu haben) zunächst zu Gefängnisstrafen verurteilt. Unter dem Einfluß eines Leitartikels der renommierten „Times“ wird das Urteil jedoch in der Berufung aufgehoben. Keith behält „Redlands“, das im Laufe der Zeit zweimal völlig ausbrennt, noch über viele Jahre hinweg. Das Haus wird innerhalb der Stones-Story zum eigenen Mythos. Aus gutem Grund, denn immerhin entstanden hier berühmte Songs wie „Jumping Jack Flash“ sowie manch begehrtes Bootleg, auf dem der Hausherr beim privaten Musizieren zu hören ist.

Lust auf London

Während Keith Richards nach wie vor in Sussex lebt, erwirbt Mick Jagger im Mai 1968 in Londons Künstlerquartier Chelsea das Haus Cheyne Walk Nr. 48 (links). Mick bewohnt die gediegene Unterkunft zusammen mit Marianne Faithful (rechts), der damals 21jährigen Tochter einer österreichischen Baronesse, und schreibt hier an den Songs für das Album „Beggars Banquet“. Zudem dreht Jagger in jenen Tagen mit dem Regisseur Nicholas Roeg den Kultstreifen „Performance“. Wie zuvor schon das Anwesen von Freund Keith, wird Micks Haus am Morgen des 28. Mai 1969 zum Schauplatz einer Razzia. Die Polizei findet geringe Mengen Cannabis. Ein halbes Jahr später, am 19. Dezember, wird das Urteil gesprochen: 250 Pfund Geldstrafe. Dem Polizeieinsatz zum Trotz entdeckt im Jahr 1969 auch der Landedelmann Richards die Vorzüge einer Stadtwohnung. Keiths neue Adresse: Cheyne Walk Nr. 3!

Trauer in Cheltenham

Cheltenham, 10. Juli 1969. Ein trauriger Tag. Zur Beerdigung des sieben Tage zuvor verstorbenen Brian Jones erscheinen neben seinen Exkollegen Bill Wyman und Charlie Watts auch die Eltern des Toten sowie 500 Fans. Die Trauerfeier findet in der Pfarrkirche statt, in der Brian schon als Junge im Chor gesungen hatte. Kanonikus Hugh Even Hopkins liest in seiner Predigt die Bibelgeschichte vom verlorenen Sohn und konstatiert, daß den Rolling Stones als Idolen ihrer Generation die Werte der Kirche offenbar unwichtig seien. Viele Trauergäste halten die Worte für unpassend und zynisch. Brian selbst hatte den Spruch für seinen Grabstein schon zu Lebzeiten festgelegt: „Bitte urteilt nicht zu hart über mich.“ Das Grab Nr. V 11393 (rechts) auf dem Friedhof in der Priory Street wird bis heute von Jones‘ Familie und seinen Fans liebevoll gepflegt.