Stephan Eicher


Manchmal paßt wirklich alles zusammen: Es ist Frühlingsanfang an diesem lauen Abend in Paris und zwei zart-weiße Scheinwerfer erleuchten ein opulentes Gemälde an der Frontseite des alten Varietetheaters. Berge sind darauf zu sehen und ein Gesicht. Paris kennt dieses Gesicht von vielen Konzerten, diesmal ist der Schweizer Stephan Eicher eine ganze Woche zu Gast in einem charmant angegrauten Etablissement, in dem vergilbte Wandmalereien über abgetretenen Fußböden von ehedem wilden Zeiten zeugen. Herren in Frack und Zylinder, Can-Can-Tänzerinnen und sprudelnde Champagner-Flaschen dienen als Dekoration für ein neues Experiment des außergewöhnlichen Musikers.

Seine angestammte französische Fangemeinde, die treu wie jeden Abend den gut tausend Personen fassenden Raum füllt, kann es ihm nur danken. Jahrelang war Stephan Eicher auf der Bühne der sperrige Einzelgänger, der, umgeben von Computern, allein mit Hilfe der Gitarre für live-haftige Faszination sorgte. Zum ersten Mal ist er jetzt mit einer vollständigen Band unterwegs, die normale Rock-Besetzung, verstärkt durch Violine und Cello.

Das Rampenlicht gilt dennoch ihm alleine – ganz in schwarz gekleidet begrüßt er mit einem leisen „Bonsoir“ die Menge und bittet sein weibliches Streicherduo auf die Bühne. Die leisen Klänge der beiden Engländerinnen eröffnen einen rundum ungewöhnlichen Konzertabend. „This Is My Place“ tönt die erste Textzeile, und nach zwei Stunden Zauber bleibt kein Zweifel an der Wahrheit: die Bühne ist Stephan Eichers Platz. Gekonnt wechselnd zwischen kühler Distanz und jungenhafter Koketterie singt er sich mit eigenwillig brüchiger Stimme durch die stimmungsvolle Liedersammlung aus Folk, Blues und Chanson der letzten LP MY PLACE, versetzt mit den schillerndsten Perlen seines Gesamtwerks. Die fünfköpfige Begleittruppe läßt ihn dabei auf einem traumhaft sicheren Klangteppich schweben und zelebriert mit ihm ein spannendes Wechselbad an Emotionen, in dem der hitzige Gastauftritt eines Zigeuners und seiner Gitarre genauso selbstverständlich seinen Platz findet wie Eddie van Halens Jump“ in Eichers eigenwilliger Streicher-Fassung.

Der Zwiestreit zwischen elektrifiziertem Rock ’n‘ Roll und spröder Klassik ist bei Eicher immer zugleich Symbiose und Kontrast. Genau wie die Person Stephan Eicher selbst, die als sensibler Interpret und anbetungswürdiger Popstar in Einem auf der Bühne steht, ohne unglaubwürdig zu werden. Kein Wunder also, daß der Schweizer an diesem Abend abwechselnd in hysterischen Begeisterungsschreien aus Mädchenkehlen, in kumpeihaft-freundschaftlichen Zurufen und in seriös anerkennendem Applaus baden darf. Und alle haben sie verdammt recht.