Stray Cats


Daß Katzen geborene Einzelgänger sind, halten sie für ein Gerücht. Nachdem sie vier Jahre lang ziellos herumstreunten, schnurren die Stray Cats nun wieder im Chor. ME/Sounds-Mitarbeiter Helmut Werb inspizierte in Los Angeles die frisch pomadisierte Schmalztolle.

Was Leute an Nierentischen so geil finden, ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Okay, meine Alten hatten auch einen, aber mir gefiel das blöde Ding nur deshalb, weil man die Tischbeine so einfach rausschrauben konnte. Und nun steht ein 28jähriger Rocker in Unterhosen vor mir und versucht zu verklickern, 18.000 Dollar für ein 1963 Cadillac Convertible seien ein Pappenstiel. „Mann, das Ding ist in einwandfreiem Zustand, alles automatisch, kaum Meilen und hat’ne Gold-Innenausstattung!“

Um Mißverständnisse gleich auszuräumen: Brian Setzers Unterhosen sind für mich nur sichtbar, weil er sich für die Fotos seinen giftgrünen Fifties-Anzug anzieht. Und, verdammt noch mal, hat doch die Reinigung glatt das Gemälde auf dem Rücken der Jacke ruiniert!

In der Tat: Der Christus auf dem Kreuz ist kaum mehr zu erkennen, die geschmackvollen Day-Glow-Farben auf schwarzem Samt sind schamhaft verblichen. Egal, den Anzug kann man auf den Fotos eh nur von vorne sehen. Und zusammen mit der grünen Gretsch und dem Blaßgrün des glitzernden 1956 Chevrolet Bel-Air von Herrn Setzer ergibt das schon ein geiles Bild.

Kein Zweifel, die Stray Cats sind wieder da. Nach über vier Jahren Trennung taten sich die drei Jungs wieder zusammen, die in den frühen 80ern die Musik der 50er populär machten. „Cats class and cats style“ heißt das Motto – angefangen beim blauen Dunst der Lucky Strike über die pomadige Tolle bis hin zum entfesselten Jaulen der Rockabilly-Gitarre. Ihre Verneigungen vor Gene Vincent und Eddie Cochrane hatten ihnen anfangs zwar nur ein mitleidiges Lächeln, zuletzt aber Chart-Plazierungen (vor allem im modegeilen England) eingebracht, die niemand den blutjungen Traditionsnalisten zugetraut hätte. Trotzdem, nach vier Alben war vor vier Jahren Schluß.

Was also gibl’s Neues? Eine eigentlich saudumme Frage an Rockabilly-Bands. Neues ist nur entstaubtes Altes, kein Wunder also, daß sich die neuen Stray Cats genauso anhören wie die alten. Die neue Scheibe BLAST OFF könnte vor fünf Jahren produziert worden sein, oder vor 25 irgendwo in Tennessee.

Viele Leute sehen das als Vorteil.

What’s the matter, man, keinen Humor?“

Hmm. Hat denn nicht die Nostalgie-Epidemie schon genügend Opfer gefordert?

Muß denn die Tochter genauso rumlaufen wie die Mutti in ihrem Alter? Hat keiner mehr neue Ideen, muß es immer wieder runderneuert sein? Der Musiker als Gebrauchtwagenhändler. Gibt’s für eigenen, persönlichen Stil Strafzettel? ‚ „Was willste denn?“, lächelt Lee Rockers gekonnt. „Ich trage ’nen lila Anzug, einen roten Socken und einen gelben. Das ist mein Stil. „

Lee sei’s verziehen, der Mann heiratet nächste Woche und vergißt laufend den genauen Hochzeitstermin. Egal, solange er seine Frau wiedererkennt. Der Rocker als Familienvater.

Auch Slim Jim Phantom führt mit der inzwischen schon etwas betagten Britt Eklund ein wöchentlich von der Klatschpresse gefeiertes Familienleben mit Kind. Slim Jim. der Mann mit der Tolle und ebenfall zweifarbigen Socken, fährt übrigens einen Corvette – ganz normal weiß. Baujahr 1988. Brian Setzer hingegen ist konsequent in seinem Rückzug in die Vergangenheit seiner Eltern.

Die Stray Cats gibt’s also wieder, und offensichtlich auch genügend Leute, die sie vermißt haben. Für die US-Tour, die die Boys durch 45 Städte wuchteten, war nach einer Woche keine Karte mehr zu bekommen.

Eine Tour übrigens, die die Stray Cats ganz, alleine durchzogen – kein Plattenvertras. keine Scheibe, nur so.

„Das war die geilste Tournee, die wir je gemacht haben. Oder jemals machen werden“, sagt Slim Jim. „Reiner Fun, kein Druck, nur Fetze. Riesenartig. “ Was sie machen, machen sie gut. Eines muß man den Jungs lassen, selbst wenn man die Rockabilly-Kiste für völlig verstaubt hält: Rocken können die Burschen. In einem kleinen Club in Redondo Beach, dem alten Harlcy Davidson-Stadtteil am Rand von Los Angeles, fetzen sie ab, daß die Schwarte kracht. Schwarzes Leder soweit das Auge reicht, die Pomade in den den Nasen um vieles vorauseilenden Haaren erhöht die Luftdichte um 100 Prozent. Keine Dame ohne Ringelsöckchen. Aber die Post seht ab.

„Die Energie unserer Shows war auch wieder im Studio da“, sagt Brian am nächsten Tag im schicken, mit Antiquitäten eingerichteten Büro des Managers. Nur eine Woche nach Abschluß der Tournee gingen die Cats ins Studio (.. Wir hatten gerade genug Zeit, unsere Klamotten zur Reinigung zu bringen“) und schössen unter der Leitung von Dave Edmunds ihren Vogel in 16 Tagen ab.

Für die Band allerdings nichts Ungewöhnliches, alle anderen Platten waren ebenfalls Schnellschüsse dieser Art.

„Auch diesmal nahmen wir die Rhythmus-Tracks komplett live auf, vermeldet Slim Jim voller Stolz.

Slim Jim Phantom, Stray Cais Main Man. Er hat das Ding unter Kontrolle, redet am vernünftigsten und drängt sich bei den Fotos immer gleich in die Mitte. An ihn also die entscheidende Frage: Wie und warum kam’s denn überhaupt zu der Rcunion?

„Wir mußten erst wieder Freundschaft schließen, bevor wir wieder zusammen spielen konnten. Als wir uns vor vier Jahren trennten, hatten wir alle das Gefühl, schon viel zu lange zusammen gewesen zu sein. Es war wie eine zehn Jahre alte Ehe.“ Damals gab’s bittere Szenen, Gerüchte über Probleme mit Kohle und Verträgen.

Slim Jim sah sich als Filmstar, Mutti Britt sollte ihm dabei helfen. Aber unterm Strich lief eben nicht viel in den katzenlosen Jahren. Denn trotz der Rolle in Clint Eastwoods „Bird“: Um als Musiker beim Hollywood-Film zu bestehen, muß man im Rock’n’Roll-Rampenlicht bleiben. Diese Erfahrung machten auch Brian (Eddie Cochran in „La Bamba“) und Lee, der eine Nebenrolle in einem US-Serienkrimi absahnte.

Obendrein wollte ja auch Brian sein Solo-Projekt durchziehen. „Der liebe Gott hat mir’ne Gitarre gegeben, damit ich Rockabilly spiele“, sagt er. Vielleicht klangen deshalb Setzers Soloversuche wie Cats-Songs ohne Cats. Kurz – Katzenjammer war angesagt: „Mir fehlten die anderen. Für mich waren die vier Jahre eine Ewigkeit“, murmelt Slim.

Als dann die große Liebe wieder ausbrach, ging – wie bei neuvereinten alten Liebhabern – erst mal das Gerät lange und nachhaltig hoch:

„Sieben Songs schrieben Brian und ich am ersten Nachmittag“, strahlt er.

Sollte trotzdem nichts abgehen, müßten Brian, Slim und Lee auf ihren Krisenplan zurückgreifen: “ Wir werden in Las Vegas einen Rockabilly-Mini-Golfplati eröffnen“, lacht Lee. „Mit einem Stray Cats-Kopf, durch den man Bälle schlagen kann, einer Elvis-Windmühle und einem, Tunnel of love‘ a la Jerry Lee Lewis. „

Muß wohl nicht sein. Die Londoner Gigs waren im Nu ausverkauft. Und da der Vorteil von Nostalgie ist, daß die Soße gleich gut oder fad schmeckt, egal wie oft man sie aufwärmt, ist für die Zukunft gesorgt.

Oder etwa doch nicht?

Brian sitzt am Telefon und versucht die 18.000 Dollar für den Caddy zu drücken. „Shit man, glaub mir: Ich hob‘ die Kohle nicht.“