Talking Heads


Nachdem Wolfgang Bauduin vor einem Monat Zorn und Jubel über die zweite Talking Heads-LP "More Songs About Buildings And Food" verstreut hatte, soll nun unser New Yorker Korrespondent Stephen Demorest zu Wort kommen. Er fühlte den sprechenden Köpfen in der gemeinsamen Heimat auf den Zahn.

Ich trai die Talking Heads, die Band mit dem Minimal-Image, in Rhode Island. In den vergangenen 200 Jahren hat sich hier nicht allzuviel ereignet. Die Rhode Island School of Design war in den frühen 70er Jahren jedoch angesehen genug, um Kunststudenten wie die späteren Talking Heads anzulocken. Nachdem sie die Schule verlassen hatten, zogen sie nach New York City, wo sie zu einer der beliebtesten HauSbands des „CBGB’s“ avancierten. Nicht nur die Kritiker begeisterten sich voriges Jahr für ihr erstes Album, „Talking Heads ’77“. Die Talking Heads zogen damit auch die Aufmerksamkeit Brian Enos auf sich, der ihre zweite LP, „More Songs About Buildings And Food“, in den Compäss Point Studios auf den Bahamas produzierte.

Als ich die vier im Büro von Sire Records traf, begegnete ich einem ausgesprochen liebenswürdigen Haufen. Drummer Chris Frantz trug einen kanariengelben Blazer und eine Sonnenbrille, als ob er auf dem Wege zum Golf Club sei. Keyboardspieler Jerry Harrison in Lederjacke, Nachdem Wolfgang Bauduin vor einem Monat Zorn und Jubel über die zweite Talking Heads-LP „More Songs About Buildings And Food“ verstreut hatte, soll nun unser New Yorker Korrespondent Stephen Demorest zu Wort kommen. Er fühlte den sprechenden Köpfen in der gemeinsamen Heimat auf den Zahn.

schwarzen Jeans und zerrissenen Schuhen sah aus, als hätte er den Morgen auf der Tankstelle zugebracht. Bassistin Tina Weymouth (mit Chris verheiratet) sah mit ihren engen Jeans und Stiefeln wie eine kleine französische Puppe aus, und Gitarrist /Songschreiber/Sänger David Byrne trug einen unbeschreiblichen, zerknitterten Trenchcoat-ME: Wo habt Ihr eigentlich Brian Eno aufgegabelt?

David: Als wir das erste Mal mit den Ramones durch Europa tourten, kam er vorbei und wir verstanden uns prima. Als er später nach New York kam, fragten wir ihn, ob er unser Produzent werden wollte und er sagte „Yeah“. Unser Manager, Gary Kurfirst, wußte, daß Chris Blackwell gerade ein neues Studio in Nassau eröffnete und meinte, daß wir vielleicht einen günstigen Tarif bekämen, weil wir die ersten wären, die dort aufnehmen und weil er wegen der Gesetze dort nicht viel Steuern bezahlt. Eno ist dann vor uns ‚rübergefahren, um das Mischpult auszuchecken. Er hatte gerade vorher an so einem Ding (einem MCI computergesteuerten Mischpult) zu tun gehabt und brachte auch noch den Ton-Techniker mit, der gewöhnlich mit ihm zusammenarbeitet: Rhett Davies.

Jerry: Eno war gerade mit dem Devo-Album fertig, das viel komplizierter war. Und ich glaube, wir hatten genug Vertrauen in unsere Musik, daß wir ihm alles gestatteten, was er vorhatte. Wir haben ihn ermutigt, ein Teil des Ganzen zu sein.

David: Während wir unsere basic tracks aufnahmen, war er am Improvisieren und ließ meinetwegen eine Gitarre oder eine snare drum durch verschiedene Filter laufen oder was auch immer – dafür hatte er seine eigene Spur.

Tina: Wir haben die basic tracks innerhalb von fünf Tagen aufgenommen. Zwei Wochen lang hatten wir geübt, bevor wir ins Studio gingen und hatten so ungefähr drei Wochen übrig.

Jerry: Ich glaube, das ist der Grund, warum das Album ein sehr positives, glückliches feeling ausstrahlt. Jede Idee bekam eine faire Chance, weil es uns erstens nicht an Material mangelte und weil wir zweitens nicht unter Zeitdruck standen.

ME: David, was gibt es über die Songs zu sagen?

David: Okay, „Thank You For Sending Me An Angel“ war zwar unheimlich schnell geschrieben ich glaube, das Original entstand in weniger als 20 Minuten – aber für das Drumherum brauchten wir eine Ewigkeit.

„… With Our Love“ beschäftigt sich ein wenig mit Erziehung und Stil und mit Leuten, die versuchen, sich ein ganz bestimmtes Aussehen zu geben und andere Leute damit verunsichern. Und natürlich kommen auch einige Worte über die Bedeutung der Arbeit darin vor.

ME: Wie in vielen Eurer Songs.

David: Richtig. „The Good Thing“ ist in verschiedene Teile gegliedert. Die Musik des ersten Teils ist Chinesisch beeinflußt; entsprechend zum Text, der viel von der Rhetorik der chinesischen Sprache übernimmt. Es geht dabei auch um hartes Arbeiten und um den Willen, Trägheit und Schlechtes zu überwinden. Wir sind zwar durch’s Touren und durch die Konfrontation mit dem Musikbusiness darauf gekommen, der Song hat im einzelnen aber nichts damit zu tun.

ME: Und worum geht es bei „Warning Sign“?

David: Das ist ein älterer Song, den wir neu ausgearbeitet haben. Was den Text angeht, ist es möglicherweise unser dekadentester Song.

ME: Dekadenz? Seit wann seid Ihr dekadent?

David: Die Sprache ist nur impressionistisch; sie umschreibt etwas Erotisches – für mich jedenfalls. Am Schluß fing ich an, im Raum umherzutanzen, und man konnte deutlich hören, wie die Schlüssel in meiner Tasche klimperten. Aber da das Geräusch mit dem Rhythmus übereinstimmte, ließen wir es drauf.

ME: Was für eine komische Sprache benutzt Ihr da auf „Stay Hungry“? – David: Ich dachte, es t würde sich gut anhören, wenn der Text staccato gesungen würde, und dann habe ich den Effekt noch übertrieben, indem ich die „Muskel“-Parts (es geht hier um einen Bodybuilder) mit schwedischem Akzent sang.

Jerry: Ich persönlich finde, daß der Song das Gefühl eines 100-Meter-Laufs vermittelt – ,Schaffen wir’s bis zum Ende?‘ – aber auf der Platte kommt das nicht so gut heraus.

Tina: Wir haben eine Menge dubs in dem Song.

Chris: Aber andere als beim Reggae.

Tina: Wir haben nur immer wieder Gitarre, Klavier und Synthesizer ein- und ausgeblendet.

David: „Take Me To The River“ ist ein Al Green-Song, den wir letztes Jahr auf der Bühne spielten.

ME: Hört Ihr viel schwarze Musik?

David: Halb und halb.

Tina: Chris und ich hören viel „Beat“-Musik wie Munic Machine oder Giorgio, also Musik mit einem strikten Rhythmus. Chris dreht dann den Hochtonlautsprecher immer voll auf, damit er den high hat hören kann, und ich dreh‘ den Baß voll auf. David und Jerry hören sich alles von Hank Williams bis hin zu afrikanischer Musik an. Hin und wieder kriegen wir auch einen kleinen Schuß Jazz mit, obwohl wir alle nicht so drin stecken, aber Don Cherry fein amerikanischer Jazz-Trompeter. Die Red.) wohnt über uns. Letztens war er bei uns unten. Eno war da und erklärte ihm: „Das Problem ist, Don, Du wiederholst nicht oft genug. Ich finde, je öfter Du etwas wiederholst, desto interessanter wird es, weil Du es immer wieder anders hörst.“

ME: Und wie hat Don es aufgenommen?

Tina: Don fand das wirklich gut!

ME: Zurück zu Euch. Wie mir scheint, befindet Ihr Euch auf einem Kreuzzug für die christliche Arbeits-Ethik.

Chris: Es gab einen Punkt in unserer Entwicklung, an dem wir den Entschluß faßten, zu versuchen, eine guten Einfluß auszuüben – ob es uns gelingt, muß das Publikum entscheiden. Wir hoffen, damit mehr zu erreichen, als wenn wir versuchen würden, uns ebenso wild und verantwortungslos zu gebärden wie es Rock’n’Roller traditionsgemäß tun.

David: Mir gefallen solche Platten und ich stehe auch auf eine wilde Show, aber da gibt es eben Leute, die das besser können als wir.

Jerry: Ich kann mich irren, aber ich finde, daß die meisten Bands, speziell die Leadsänger, oft ein Image aufbauen, das nichts anderes als Schwindel ist. Entweder spielen sie den letzten Zigeuner oder sie sind die allerletzte Sex-Maschine. Was wir tun, ist genau das Gegenteil. Wir inspirieren die Leute, weil wir ihnen nicht das Gefühl geben, unzulänglich zu sein.