Interview

Tame Impala im Interview: „Ich zelebriere es, ein Loser zu sein“

Kevin Parker über die beste Kunst dank Verantwortungslosigkeit, Selbstbewusstsein, schlechte Gefühle und über die Nachteile vom Album-Format.

In der Popmusik ist bestenfalls nichts, wie es scheint, und nichts authentischer als das Artifizielle. Anlässlich einer der ersten Platten von Tame Impala hat Kevin Parker einmal erklärt, in seiner Musik müsse es vor allem darum gehen, Gitarren wie Synthesizer und Schlagzeug wie Drum-Computer klingen zu lassen. Jetzt sind auch die Inhalte an der Reihe. Vordergründig handelt das neue Album DEADBEAT von Gefühlen der Unzulänglichkeit, die eigentlich lebenslang lähmen müssten. Doch für Parker sind die Songs ein Exorzismus, der mit einer waghalsigen Strategie einhergeht: Jeder Tag ist Gegenteiltag.

Als THE SLOW RUSH 2020 erscheint, lässt Mastermind Kevin Parker ausrichten, das nächste Album sei bereits in der Mache und würde bald erscheinen. Es folgen vier Jahre voller Fehlalarme, abgebrochener Sessions und längerer Pausen, die Parker offenbar bevorzugt am Strand verbrachte. Und dann geht auf einmal alles ganz schnell. Zwei Singles mit extravaganten Videoclips, ein Album-Stream über Nacht und ein Interviewtermin, für den der eine früh aufstehen und der andere lang wachbleiben muss.

Kevin, im Vorfeld zum neuen Album hast du gesagt, DEADBEAT wäre inspiriert von der westaustralischen „Bush Doof Szene“. Klingt ulkig. Was kann man sich darunter vorstellen?

Im Grunde sind das einfach nur Raves, wie sie auch überall sonst auf der Welt stattfinden. Mit dem Unterschied, dass es in Australien eben eine Menge Busch gibt. Die Musik würde ich als eine Mischung aus Dance, Trance und Techno beschreiben, samt der dazu passenden Community. Eigentlich nichts Besonderes, abgesehen von dem Umstand, dass Australier dazu neigen, allen möglichen Dingen lustige Namen zu geben.

Okay, es passiert dort also nichts, was nicht auch woanders passieren könnte? Keine unfreiwilligen Interaktionen mit merkwürdigen Tieren zum Beispiel?

Na ja, ich werde jetzt nicht von all den ausschweifenden Dingen erzählen, die da vor sich gehen. Aber es gab da schon ein paar magische Erfahrungen für mich. Bush-Doof-Raves sind wie kleine Festivals, schön weit weg von der Stadt. Man ist unter Gleichgesinnten, die alle aus demselben Grund da sind. Nämlich um der Realität für eine Weile zu entfliehen und ein bisschen seltsam und frei sein zu können.

Inzwischen teilst du deine Zeit zwischen der australischen und der kalifornischen Westküste auf. Das hört sich an, als bräuchtest du einen Ozean vor der Haustür. Wo liegen die Unterschiede und die Gemeinsamkeiten?

Perth und Los Angeles sind in mancher Hinsicht total unterschiedlich. Sie liegen an unterschiedlichen Enden der Welt, und was den vorherrschenden Lebensstil angeht, sind sie komplett verschieden. In anderer Weise ähneln sie sich aber auch sehr. Das Wetter ist praktisch dasselbe, und auch das Stadtbild mit den vielen Straßen und der ganzen Zersiedelung. Ich sage immer gerne: Perth liegt mitten im Nirgendwo, Los Angeles liegt mitten im Überall.

Von Phil Ochs gibt es den schönen Songtitel „The World Began In Eden And Ended In Los Angeles“. Dieses Abseitige, dieses Unheimliche – ist das auch etwas, das du in dieser Stadt zu spüren bekommen hast?

Ich weiß, dass es da ist, aber dazu muss ich sagen, dass ich die allermeisten L.A.-Dinge selber nicht mitmache. Ich bin noch kein Los-Angeles-Mensch geworden. Andere schon. Das sind dann die, die keine Party auslassen und möglichst viel Hollywood in ihrem Leben haben wollen. Ich bin dagegen eher ein Einzelgänger, was ein bisschen ironisch ist. Das Schöne an Los Angeles ist nämlich, dass gefühlt alle anderen Australier auch hier sind.

Wenn man sich dein neues Album und vor allem die Texte anhört, könnte man sich ein bisschen Sorgen um dich machen. Daher mal ganz direkt gefragt: Geht es dir gut?

Lustig, dass du das erwähnst. Ich weiß, was du meinst, aber wenn ich mir meine Texte so angucke, kommen sie mir nie deprimierend vor, sondern eher befreiend. Es ist schwer zu beschreiben, aber sie ähneln für mich sogar einer Festveranstaltung. Ich zelebriere es, ein Deadbeat zu sein, ich zelebriere es, ein Loser zu sein. Fast so, als würde ich diese Begriffe damit für mich umdefinieren.

Ein Deadbeat ist eigentlich so etwas wie ein Rabenvater oder jemand, der seine Familie im Stich lässt und auch keine Alimente zahlt. Was bedeutet das Wort für dich?

Rückblickend glaube ich, dass ich Zeit meines Lebens auf der Suche nach Erfolg war. Erfolg als Möglichkeit, zu verhindern, ein tatsächlicher Loser zu sein. Inzwischen muss ich aber einsehen, dass das Gefühle sind, die einen auch nach Jahren des Erfolgs nicht verlassen. Ein Deadbeat ist für mich jemand, der einfach hoffnungslos unfähig ist, wenn es darum geht, ein vernünftiges eigenes Leben zu führen. Einer, der seinen Kram irgendwie nicht zusammenkriegt. Der Schwierigkeiten mit seinen Beziehungen hat, Schwierigkeiten mit anderen Menschen, Schwierigkeiten mit allem, was man angeblich so in einem normalen Leben zu meistern hat. Das ist auch die thematische Klammer, die ich um alle Songs auf dem neuen Album legen kann.

Allerdings. „I’m a loser“, „I’m an afterthought to you“, „Could you ever love someone like me?“ – ein stabiles Selbstbewusstsein hört sich anders an.

Ich schreibe in der Regel einfach, was mir so zufliegt. Und fröhliche Texte haben mir noch nie gefallen. Es hat mir auch noch nie Spaß gemacht, selbst welche zu schreiben. Für mich ist Musik eine Möglichkeit, schlechte Gefühle loszuwerden, ohne mit jemandem darüber sprechen zu müssen. Ich war noch nie gut darin, über negative Emotionen zu reden. Musik ist da das bessere Ventil.

Robert Smith hat angeblich mal gesagt, es wäre viel leichter, einen Depri-Song zu schreiben als einen aufrichtig fröhlichen. Und dann ist da „Piece Of Heaven“, ein kleines Stück Glück inmitten der ganzen Tiefstapelei.

Stimmt, der Song schwimmt da ein bisschen gegen den Strom. „Piece Of Heaven“ handelt von den Momenten der Freude im Leben, auch wenn sie noch so vergänglich sind. Und von Gefühlen, die man als Teenager erstmals kennenlernt.

Es heißt ja: Wer seine Teenagerjahre übersteht, hat den Rest seines Lebens genug zu erzählen. Wie siehst du das als inzwischen 39-Jähriger? Hast du das Gefühl, irgendwo angekommen zu sein?

Ich habe eher das Gefühl, dass es immer Dinge geben wird, die einen innerlich verfolgen. Was immer einen als Teenager verwundet oder verunsichert hat, begleitet einen ein Leben lang, auch wenn wir als Erwachsene damit umzugehen lernen. Mir ist schon sehr bewusst, dass alles, was ich als Erwachsener erreichen möchte, eigentlich dazu dienen soll, Probleme zu beheben, die ich als Teenager hatte. Sowohl mit mir selbst als auch mit der Außenwelt. Das ist etwas, dem ich wohl immer hinterherlaufen werde.

Hilft es, dabei dieses Ventil zu haben, kreativ sein zu können?

Ja, für mich ist das wie Therapie. Etwas in einem Song zu verpacken, mit dem ich in der Vergangenheit zu kämpfen hatte. Auf diese Weise bekommen selbst Dinge, die erst einmal negativ klingen, eine Bedeutung, einen Sinn. Wenn ich aus etwas, das mir eher schlechte Gefühle macht, einen schönen Song machen kann, habe ich die ganze Situation erfolgreich zum Guten gewendet. Schöne Musik zu machen, ist das, was mir im Leben am meisten bedeutet. Und wenn ich aus etwas Negativem etwas Positives machen kann, dann hat es sich schon gelohnt.

Welche Rolle spielen dabei die musikalischen Genres? Auf dem neuen Album fluktuiert die Musik mehr als je zuvor zwischen Psych- und Indie-Rock sowie eher elektronischen Stilen, die wie in „Not My World“ ohne viele Worte auskommen und in Trance- und Ambient-Gefilden enden.

Das stört mich tatsächlich manchmal sogar am Album-Format. Man ist dazu angehalten, sich musikalisch immer wieder vom Fleck zu bewegen, anstatt mal eine Weile eine einzelne Idee zu verfolgen. Wenn ich die Art von Platte machen dürfte, auf der ein Song wie „Not My World“ zwanzig Minuten lang dauern würde, würde ich das sofort machen.

Fehlt es dir da wirklich an Gelegenheiten? Schließlich warst du in letzter Zeit auch bei Künstlerkollegen aktiv. Rihanna hat einen deiner Songs gecovert, du hast für Justice gesungen und Songs für Dua Lipa geschrieben. Wo hört Tame Impala auf und wo fängt Kevin Parker an?

Da gibt es keine echte Grenze, das ist eher ein amorpher Blob. Im Grunde mache ich einfach, wonach mir gerade der Sinn steht. Schon seit ich mit Tame Impala angefangen habe, hatte ich das starke Bedürfnis, so etwas wie ein unsichtbares Alter Ego für mich zu erschaffen. Es kann zwar sehr befriedigend sein, das Gesicht der Band und das Zentrum der Aufmerksamkeit abzugeben, aber es kann auch frustrierend und lähmend sein. Es war immer mein Traum, bei Bedarf aus dem Rampenlicht verschwinden zu können. Ich will in der Lage dazu sein, alle Musik zu machen, nach der mir gerade ist, ohne darüber nachzudenken, ob dadurch meine Persönlichkeit oder meine Karriere oder mein Image beeinflusst oder beeinträchtigt wird. Popsongs für andere Künstler und Künstlerinnen zu schreiben, ist in dieser Beziehung genau das Richtige.

Hast du das Gefühl, dass du mit DEADBEAT eine gewisse Reife erlangt hast? Ohne zu persönlich werden zu wollen, aber es macht schon den Eindruck, dass du dich mit der Platte zumindest zwischen den Zeilen auch an deine Kinder wendest.

Wenn man Vater wird, zeigt sich damit definitiv eine neue Dimension der Verantwortung. Das ist nicht unproblematisch, denn manchmal habe ich das Gefühl, dass Verantwortungsbewusstsein und Kunst sich nicht besonders gut miteinander vertragen. Ich war immer der Meinung, dass die beste Kunst der totalen Verantwortungslosigkeit entspringt, der totalen Bedenkenlosigkeit. Wenn man sich keine Gedanken um die Auswirkungen macht. Wenn man nämlich einmal damit anfängt, zu überlegen, welche Konsequenzen die eigene Kreativität hat, beginnt man, sich einzuschränken. Musik ist am besten, wenn sie einfach fließt. Und Kunst sollte frei sein, auch wenn das im Jahre 2025 vielleicht nicht so gern gehört wird.

Aber wäre es nicht doch schade, wenn das so ein Entweder-Oder wäre mit der Kunst und der Verantwortung?

Es kann ja auch sein, dass das nicht für jeden so ist. Ich weiß noch, wie Kurt Cobain in seinem Abschiedsbrief Neil Young zitiert hat: „It’s better to burn out than to fade away.“ Das mag so sein, aber vielleicht ist das auch einfach nur eine Einzelmeinung. Klar, auf einem gefühlsmäßigen Level und von außen betrachtet fühlt es sich vielleicht besser an, wenn alle Kreativität in einer großen Explosion endet. Aber andererseits wird Kunst eben von Menschen gemacht. Und kreative Menschen möchten in der Regel so lange kreativ bleiben wie möglich. Letzten Endes kann man da eh niemandem die eigenen Entscheidungen abnehmen. Auch wenn das jetzt unglaublich unoriginell klingt.

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Du erwähnst Kurt Cobain, in deinem Musikvideo zu „Loser“ spielt Beck höchstpersönlich mit. Hast du das Gefühl, zumindest ideologisch ein Kind der Generation X zu sein?

Da ist auf jeden Fall etwas Wahres dran. Die späten Neunziger waren für mich nicht nur musikalisch prägend, sondern auch, was die ganze Lebensanschauung angeht. Es fühlte sich einfach alles richtig an. Ich weiß aber nicht, ob das daran liegt, dass ich ein Produkt dieser spezifischen Zeit bin, oder ob das ein universelles, für dieses Alter typisches Gefühl ist. Und dass die Neunziger das vielleicht einfach nur besser eingefangen haben als andere Epochen. Ich weiß nur, dass die ganze Ironie und der ganze Sarkasmus damals durchaus Sinn für mich ergeben haben.

Anderes Thema: Letztes Jahr konnte man lesen, dass du deine Musikverlagsrechte verkauft hast – und zwar nicht nur für deine bereits geschriebenen Songs, sondern auch für alle zukünftigen. Das ist ein ungewöhnlicher Move für jemanden, der noch nicht im Neil-Young- oder im Bruce-Springsteen-Alter ist.

Ja, aber dazu muss ich sagen, dass diese Meldung nicht ganz der Wahrheit entspricht, was mich ein bisschen frustriert hat, weil das die Leute gerade auf falsche Ideen bringt. Die Rechte an seinen zukünftigen Songs kann man meines Wissens gar nicht verkaufen, ich habe es zumindest nicht getan. Wahr ist dagegen, dass ich meine bereits bestehenden Verlagsrechte verkauft habe, was übrigens noch einmal etwas anderes ist als etwa seine Masterbänder zu verkaufen. Die ganze Sache kam zustande, nachdem ich mich mit einem befreundeten Musiker unterhalten hatte, der das auch gemacht hatte und ganz begeistert davon war. Aus einem einfachen Grund: Anstatt auf Kleckerzahlungen zu warten, von Songs, die man vor zehn, fünfzehn Jahren geschrieben hat, bekommt man auf diese Art alles auf einmal. Es ist wie eine Art Großreinemachen. Oder wie ein Maler, der all seine Bilder auf einmal verkauft, anstatt sie irgendwo aufzuhängen und von jedem einzelnen Besucher Eintritt zu verlangen. Ich verkaufe meine Gemälde lieber und fange von vorne an.

Das bedeutet aber nicht, dass die Musik von Tame Impala zukünftig in irgendwelchen dubiosen Werbespots auftauchen wird?

Eher nicht. Die Leute, die die Verlagsrechte gekauft haben, sind nämlich die von meinem bisherigen Musikverlag. Und die gute Beziehung, die ich zu ihnen habe, war auch ein wichtiger Grund für den Verkauf. Das hört man im Musikgeschäft vielleicht
nicht oft, aber: Ich vertraue ihnen.